Ausstellung: 250 Jahre Hölderlin 20.09-03.10.2021 Vortrag und Bilder

Vortrag 02.10.2021

 

Hölderlin - ein politischer Denker?

 

Hölderlins Schaffensphase entwickelte sich in Auseinandersetzung mit den Werken der großen deutschen Dichter und Philosophen der Zeit um 1800: Schiller, Goethe - Fichte, Hegel, Schelling, um nur einige zu nennen. Sie waren geprägt durch das Gedankengut der Aufklärung. Vorreiter waren Spinoza, Rousseau, Voltaire, Kant, Lessing, Leibniz und andere; in Deutschland war das aufklärerische Gedankengut vom Preußenkönig Friedrich II. gefördert worden. Er hatte tiefgreifende gesellschaftliche Reformen durchgesetzt, aber es war ihm nicht gelungen, ein Gleichgewicht zwischen den Interessen des Adels und der Bauern zu schaffen oder gar die ausbeutenden Feudalherren von ihrem hohen Ross zu stoßen. Deren Hang zum Despotismus hatte bei den unterdrückten Bürgern den Wunsch nach Gewaltenteilung, nach Recht und Freiheit, nach Demokratie geweckt. 

Im monarchischen Frankreich erklang zur gleichen Zeit der revolutionäre Ruf nach liberté, égalité, fraternité. Die Französische Revolution weitete sich schnell zu einer politischen Bewegung in ganz Europa aus. Allerdings wurde aus dem französischen Befreiungskampf bald die Schreckensherrschaft der Jakobiner, welche unter Robespierre ihren grausamen Höhepunkt fand. Nach der Enthauptung Robespierres setzte man in Deutschland die Hoffnung auf Napoleon Bonaparte. Man erwartete von ihm die Durchsetzung der bürgerlichen Rechte in Europa. Diese Erwartung wurde jedoch durch Napoléons imperialistische Bestrebungen und durch die brutalen Methoden seiner Soldaten bitter enttäuscht.

 

Hölderlin und seine Studienfreunde gehörten zur intellektuellen Schicht und nahmen als solche analysierend und debattierend teil am politischen Geschehen, wie man Hölderlins Briefen entnehmen kann. Angesichts von Unrecht, Willkür und Gewalt waren sie vor die Frage gestellt, wie weit sie sich aktiv in den Kampf für Freiheit und Gerechtigkeit einbringen sollten. Zeigte sich Hölderlin anfangs noch aufgeschlossen für den kämpferischen Einsatz, zog er sich angesichts der Greueltaten mehr und mehr davon zurück. Hatte er 1792 an seine 

Mutter, der er zeitlebens mit Respekt und Ergebenheit gegenübertrat, noch geschrieben:

„ Und wenn es sein muss, so ist es auch süß und groß, Gut und Böse seinem Vaterland zu opfern, und wenn ich Vater wäre von einem der Helden, die in dem großen Siege bei Mons starben, ich würde jeder Träne zürnen, die ich über ihn weinen wollte.“ 

so zeigte er sich schon zwei Jahre später in seinen Briefen an Familie und Freunde sehnsüchtig nach Harmonie und Frieden. 1794 schreibt er an seinen Bruder:

„ Lass erst die beiden Engel, die Menschlichkeit und den Frieden, kommen, was die Sache der Menschheit ist, gedeihet dann gewiss!“ 

Seine Sprache war die Poesie. Das bedeutete ein Stück weit Realitätsflucht, aber eben nur ein Stück weit. Hölderlin blieb wachsam für die historischen Ereignisse und für die Entwicklung der Menschenrechtslage in Europa. Sein Mittel, sich gegen jegliche Doktrin und für Freiheit und Humanität zu engagieren, war die Rede in Versen. Die Veranlagung dazu hatte er bereits in seiner Schul- und Studienzeit entwickelt. Die Knute von engstirniger Pädagogik und indoktrinären Einflüssen seitens der Kirche hatten ihn und seine Freunde zu Freigeistern gemacht, die mit Rousseau und Kant der individuellen Freiheit den Weg bahnten.

Es war die Zeit des denkerischen Umbruchs. Die Kirchen verloren an Macht, ihre dogmatischen Inhalte wurden in Frage gestellt, darunter auch die Absolutheit des Einen Gottes, nicht aber der Gottesbegriff als solcher in seiner Vielfältigkeit und nicht der Leidensmensch Jesus Christus. Die Intelligentia berief sich auf die Antike. Nicht nur studierte man ihre Sprachen, man befasste sich auch mit ihrer Staatsform, ihrer Philosophie und ihrer Kunst und formte daraus das Ideal geistiger und körperlicher Freiheit. In der griechischen Kultur entdeckte man so etwas wie Seelenschönheit, hervorgerufen durch das freie Spiel von männlichem Ernst und weiblicher Anmut, göttliche Prinzipien, die der Mensch in sich selbst finden könne. 

 

Die antike Götterwelt wurde in Einklang gebracht mit der Lehre Jesu Christi, der antike Humanismus mit dem christlich-sozialen Denken.

Für Hölderlin wurde die griechische Mythologie zum Movens seiner lyrischen Poesie. 

Er stützte sich auf das griechische Versmaß und auf die hellenistische Götter- und Halbgötterwelt. Er verlieh den mythologischen Figuren neue Bedeutung, indem er sie, sich berufend auf Spinozas Panentheismus (will heißen: Alles ist in Gott) als grundlegende Lebensessenz begriff. Er dichtete sich selbst in diese Welt hinein, sah sich als Titan, als Gottmensch, auch als Christus, der ihm heroisches Vorbild für ein Dichterleben in Mut und Demut war. 

 

Hölderlin schreibt:

 

Doch uns gebührt es, unter Gottes Gewittern,

Ihr Dichter! Mit entblößtem Haupte zu stehen,

des Vaters Strahl, ihn selbst, mit eigner Hand

zu fassen und dem Volk ins Lied

gehüllt die himmlische Gabe zu reichen.

(aus „Wie wenn am Feiertage“)

 

Es waren weniger die dunklen wilden Triebe der Natur, oder die Phantasie- und Traumwelten des Unterbewusstseins, welche von den Romantikern in Wort und Bild gesetzt wurden, die ihn bei seinen Versen leiteten, vielmehr war es das göttliche Potential des Lebens. In sich selbst und in allem, was lebt, das Göttliche zu finden, an sich zu arbeiten, sich zu vervollkommnen, das Land und die Welt zu einer besseren zu machen – das war es, was Hölderlin antrieb. Seine Inhalte orientieren sich am Ideal der Freiheit, aber nicht mit der Zielsetzung, das eigene Ich auf einen Thron zu heben, sondern mit der Intention, an sich selbst zu arbeiten, Herz und Verstand zu bilden, eine respektvolle Gemeinschaft zu gründen und somit die göttliche Natur der Welt zum Leuchten zu bringen. Begriffe wie z.B. Bewegung, Gemeinschaft, Vaterland oder Vergänglichkeit durchleuchtete er von der hohen Warte eines religiös-lyrischen Geistes. Während Schiller, Hölderlins poetisches Idol, Freiheit und Verbundenheit durch dramatische Stoffe dem Leser nahebringt – Die Ballade „Die Bürgschaft“ oder das Drama „Die Räuber“ seien als Beispiele genannt - , malt Hölderlin mit klingenden Worten das metaphorische Bild titanengleicher Eichbäume, die, jeder ein Gott, freiheitlich im Bunde zusammenstehen. 

 

Immer wieder fielen Hölderlins Gedichte der Kritik anheim, sie seien zu abgehoben, zu schwärmerisch, zu pathetisch. Schiller und Goethe hatten sogar den Versuch unternommen, Hölderlin von der subjektiven Stimmung zur konkreten Bestimmtheit des Gegenständlichen zu führen. Vergeblich. Es war die Verbundenheit mit dem Göttlichen, die den hochsensitiven Dichter ganzheitlich durchdrungen hatte. Das zeigt sich dann auch deutlich in der lyrischen und romanhaften Verarbeitung seiner großen Liebe zu Suzette Gontard, verheiratete Frau und Mutter seiner Zöglinge, mit der er eine heimliche Beziehung lebte, die tragisch endete. Suzette stellt für Hölderlin das Ideal eines Menschen dar, der ganz mit der göttlichen Natur im Einklang steht. Er stilisiert sie hoch zu seiner Diotima, der weisen Frau in Platons Symposion, die den Gott Eros definiert als das immerwährende Begehren nach vollkommener Liebe. Im Briefroman Hyperion, den man als Hölderlins Selbstbekenntnis verstehen darf, verkörpert Diotima die Kraft des Ewig-Weiblichen. In ihr vereinen sich Körper, Geist und Seele. Dort lesen wir jedoch auch, dass Hyperions Liebe zur Poesie und zur gesamten Welt im Konflikt standen mit seiner Liebe zu Diotima, was schließlich zu Krankheit und Tod der Geliebten führte.

 

Aus einem Brief Diotimas an Hyperion:

O es ist so ganz natürlich, dass du nimmer lieben willst, weil deine größern Wünsche verschmachten.... Ich wusste es bald; ich konnte dir nicht alles sein.... 

 

Wir dürfen daraus ableiten, dass die Poesie für Hölderlin obersten Stellenwert hatte.

 

Hölderlin ist ein Dichter, der ganz von den Idealen der Antike und ihren mythologischen Welten durchdrungen ist. Ich denke, dass es genau das ist, weshalb man ihn heute in unserer entmythologisierten Zeit häufig in der Reihe der großen deutschen Dichter etwas hintanstellt. Im Bezug zur griechischen Antike liegt jedoch das Geheimnis von Hölderlins Gedichten. Es ist das göttliche Prinzip der spielerischen Vereinigung von Natur und Würde, das sowohl der antiken Poesie und Kunst als auch Hölderlins Versen Schönheit verleiht.

 

Bei aller Emphase, von der Hölderlins Lyrik getragen ist und die zuweilen zu schwulstig erscheinen mag, ist doch auszumachen, dass sie einer strengen Struktur folgt und somit auf Disziplin und harte Arbeit des Künstlers schließen lässt. Es sind die Ideale der griechischen Antike, ihre Form- und Stilbildung und ihre humanistischen Werte, die seine Dichtung erden.

 

In der Verzerrung dieses Sachverhaltes und in der Begeisterung für die pathetische Rede vom Vaterland mögen die Gründe dafür liegen, dass Hölderlins Werk von den Nazis vereinnahmt werden konnte. Im Zweiten Weltkrieg trugen die Soldaten Hölderlin in der Uniformtasche. Noch heute prangen an den Stirnwänden in der neoklassizistischen Langemarckhalle in Berlin, in der die Nazis ihre Propaganda inszenierten, die Hölderlin-Worte:

 

Lebe droben o Vaterland

und zähle nicht die Toten

Dir ist, Liebes,

nicht einer zu viel gefallen.

 

Es ist die Mixtur von vaterländischem Denken und heroischem Pathos, die zu Perversion und Missbrauch einlud.

Berücksichtigt man aber, dass es Hölderlin bei seinem vaterländischen Denken um den Zusammenhalt eines Deutschlands, das seine Identität zu verlieren drohte, ging und dass dieser Zusammenhalt garantiert werden sollte 

erstens durch die Aneignung von Welt- und Landeskenntnissen,

zweitens durch einen Staats- und Humanitätsbegriff, der sich der Gerechtigkeit und Freiheit verpflichtet fühlte, und

drittens durch die Kraft einer ungezwungenen Geisteshaltung,

so rücken seine Verse näher an die Befreiungskämpfe unserer Tage, als dass sie nationalistischem Gedankengut zugeordnet werden könnten. 

Es lässt sich jedoch nicht ganz von der Hand weisen, dass Hölderlins Sprache anfällig für Missverständnis und Missbrauch ist und dies ganz besonders, wenn man das Paket des deutschen Nationalsozialismus auf dem Buckel hat.

 

Hölderlin – ein politischer Denker?

Wann ist man politisch? 

 

Theodor Fontane hat 1857 nach der englischen Besatzung sein Gedicht „Das Trauerspiel von Afghanistan“ geschrieben.

 

Ich zitiere daraus:

 

Wir waren dreizehntausend Mann,

von Kabul unser Zug begann,

Soldaten, Führer, Weib und Kind,

erstarrt, erschlagen, verraten sind.

 

Hölderlins Weckrufe sind subtiler. Sie richten sich immer nach der positiven Seite des Lebens aus. Ich habe bei ihm kein Gedicht finden können, das die Schrecken des Krieges und der Gewalt konkret beschriebe. Allerdings wendet er sich in seinem Roman Hyperion deutlich vom kriegerischen Geschehen ab:

...unsre Leute haben geplündert und gemordet, ohne Unterschied, auch unsre Brüder sind erschlagen.... Es ist des Unheils zu viel. An allen Enden brechen wütende Haufen herein; wie eine Seuche, tobt die Raubgier (in Morea) und wer nicht auch das Schwert ergreift, wird verjagt, geschlachtet und dabei sagen die Rasenden, sie fechten für unsre Freiheit. …

In seinen Gedichten ist er hymnischer. Hier wird die Welt als gotterfüllter Raum begriffen und dem Genius fällt die Aufgabe zu, mittels rhythmischer Schönheit frei zu machen und die Herzen zu öffnen. Das klingt dann wie Traum und Verheißung in einem:

 

Ihr guten Götter! Arm ist, wer euch nicht kennt,

Im rohen Busen ruhet der Zwist ihm nie,

Und Nacht ist ihm die Welt und keine

Freude gedeihet und kein Gesang ihm.

 

Nur ihr, mit eurer ewigen Jugend, nährt

In Herzen, die euch lieben, den Kindersinn,

Und lasst in Sorgen und Irren

Nimmer den Genius sich vertrauern.

(aus: Die Götter)

 

Aber lässt sich mit lyrischen Versen die Welt verändern? Lassen sich mit göttlichen Lichtpunkten die dürftigen Zeiten erhellen? Kann durch würdevolle und anmutige Schönheit Herzenswärme erzeugt werden? Und ist Herzenswärme schon ein Garant für humanes Handeln?

Ist Hölderlin ein religiöser Schwärmer oder ist er ein politischer Denker?

Ich denke, dass diese Fragen zu kurz greifen.

Er ist ein Dichter, der sich vom Weltgeschehen berühren lassen hat und der auf der Ebene lyrischer Genialität Impulse gesetzt hat für Menschlichkeit und Freiheit. Darüber hinaus ist er ein Dichter, dem es gelungen ist, seinen Versen religiöse Kraft zu verleihen: Als Trägerin der ewigen göttlichen Gesetze vermag seine Poesie durch alle Zeiten hindurch das Feuer des Lebens zu entfachen. 

 

 

Abschließend hören Sie jetzt eine freie künstlerische Antigone-Interpretation, basierend auf der Übersetzung von Hölderlin und auf dem antiillusionistischen Theaterstück von Jean Anouilh, uraufgeführt in Paris 1944. 

Der Dramenstoff des Sophokles hat Hölderlin zeitlebens nicht losgelassen. Er hatte erkannt: Die Tragik des Scheiterns im Kampf gegen Willkür, Ungerechtigkeit und Gewalt durchzieht die Weltgeschichte und ist doch zugleich Sieg! 

Text und Musikkompositionen werden von Yasmin Damatega begleitend performt.

 

Lydia Spiekermann, Okt. 2021

Antigone, Öl und Kohle auf Leinwand, 100x80 cm

Antigone
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Bilder
 

UND WOZU DICHTER IN DÜRFTIGER ZEIT?

 

aus Brod und Wein von Friedrich Hölderlin

 

 

Hölderlin erkennt den Zusammenhang von tiefster Trauer und tiefster Menschlichkeit.

 

Wie Nachtigallengesang im Dunkeln tönt uns göttlich erst in tiefem Leid das Lebenslied der Welt.

 

Menschliche Größe stand für ihn in dialektischem Zusammenhang mit dem historischen Augenblick.


Meine Bilder orientieren sich an Zeitungsfotos aus dem Irakkrieg. Sie wollen jedoch nicht historische Darstellung sein, sondern Zeichen der Menschlichkeit setzen.

 

 

 

Dichter, Öl auf Leinwand, 100 x 80 cm

Mutter des Dichters, Moorlauge, Öl auf Leinwand 150x80 cm                                

 Mann mit Kind, Öl und Kohle auf  Leinwand, 150 x 50 cm

Vier Männer im Boot, Öl und Kohle auf Leinwand, 100x120cm

Soldat mit Kind, Öl, Moorlauge, Kohle auf Leinwand, 60 x 80 cm

Frau, Öl und Kohle auf Leinwand, 90 x 90 cm