Also sprach Zarathustra


Ein Buch für Alle und Keinen


von Friedrich Nietzsche

 

Bühnenfassung von Lydia Spiekermann

 

(2008)

 

Zarathustra

Tänzerin

 

Stimme

ein Heiliger

ein Weiser

Jüngling

Alte Frau

Jünger

 

Narr

Tiere (Adler, Schlange)

Wahrsager

Könige

Gewissenhafter des Geistes

Dichter (Büßer des Geistes)

Papst

Hässlicher

Freiwilliger Bettler

Schatten

 

 

1. Teil

 

Zarathustras Vorrede

 

Stimme:

Als Zarathustra dreißig Jahre alt war, verließ er seine Heimat und ging in das Gebirge. Hier genoss er seines Geistes und seiner Einsamkeit und wurde dessen zehn Jahre nicht müde. Endlich aber verwandelte sich sein Herz und eines Morgens stand er mit der Morgenröte auf, trat er vor die Sonne hin und sprach zu ihr:

 

Z.:

Du großes Gestirn! Was wäre dein Glück, wenn du nicht die hättest, welchen du leuchtest! Siehe, ich bin meiner Weisheit überdrüssig. Ich möchte verschenken und austeilen. Dazu muss ich gleich dir untergehen. So segne mich denn, du ruhiges Aug, das ohne Neid auch ein allzugroßes Glück sehen kann. Zarathustra will wieder Mensch werden.

 

im Wald

 

ein Heiliger: singt, lacht, weint, brummt

Ich erkenne Zarathustra. Geht er nicht daher wie ein Tänzer? Verwandelt ist Zarathustra, ein Erwachter ist er. Was willst Du nun bei den Schlafenden?

 

Z.:

Ich liebe die Menschen.

 

ein Heiliger:

Ich ging in den Wald, weil ich die Menschen allzu sehr liebte. Jetzt liebe ich Gott. Der Mensch ist mir eine zu unvollkommne Sache.

 

Z.:

Sollte es möglich sein! Dieser alte Heilige hat in seinem Wald noch nichts davon gehört, dass Gott tot ist!

 

 

auf dem Marktplatz - ein Seiltänzer balanciert und fällt

 

Z.:

Ich liebe die großen Verachtenden, weil sie die großen Verehrenden sind. ...Ich liebe den, welcher lebt, damit er erkenne, und welcher erkennen will, damit einst der Übermensch lebe. Und so will er seinen Untergang. ...

Wehe! Es kommt die Zeit, wo der Mensch nicht mehr den Pfeil seiner Sehnsucht über

den Menschen hinauswirft, und die Sehne seines Bogens verlernt hat zu schwirren. Ich sage euch: Man muss noch das Chaos in sich haben, um einen tanzenden Stern gebären zu können.

Die Menschen verstehen mich nicht. Sie blicken mich an und lachen. Und indem sie lachen, hassen sie mich noch. Es ist Eis in ihrem Lachen.

Gefährten brauche ich, die mir folgen, weil sie sich selber folgen wollen. Nicht zum Volk rede Z., sondern zu Gefährten. Siehe die Guten und Gerechten! Wen hassen sie am meisten? Den, der zerbricht ihre Tafeln der Werte. Das aber ist der Schaffende. Mitschaffende braucht der Schaffende.

Z. sieht einen Adler, um dessen Hals sich eine Schlange wie eine Freundin windet.

Da sind meine Tiere, das stolzeste und das klügste. Mögen sie mich führen!

 

Z. befindet sich jetzt in der Stadt "Die bunte Kuh". Während seiner Reden gesellen sich Jünger zu ihm.

 

Die Reden Zarathustras

 

Z.:

Drei Verwandlungen nenne ich euch des Geistes: wie der Geist zum Kamele wird, und zum Löwen das Kamel, und zum Kinde zuletzt der Löwe. Das Schwerste nimmt der Geist auf sich gleich einem Kamel und eilt damit beladen in seine Wüste. Freiheit will er sich hier erbeuten und Herr sein in seiner eigenen Wüste. Zum Löwen wird hier der Geist. Besiegen wird er den Drachen "Du sollst!", denn der Geist des Löwen sagt: "Ich will!" Zuletzt aber wird der Löwe zum Kind. Unschuld ist das Kind, ein Neubeginnen, ein Spiel, ein aus sich rollendes Rad, ein heiliges Ja-Sagen, Ja, zum Spiele des Schaffens.

 

Ein Weiser:

Schlecht schläft der Unversöhnte. Man muss alle Tugenden haben, um gut zu schlafen.

 

Z.: lacht

Ein Narr ist mir dieser Weise. Seine Weisheit heißt: wachen, um gut zu schlafen. spöttisch Selig sind diese Schläfrigen, denn sie sollen bald einnicken.

Einen neuen Stolz lehre ich die Menschen: nicht mehr den Kopf in den Sand der himmlischen Dinge zu stecken, sondern frei ihn zu tragen. Einen neuen Willen lehre ich die Menschen.

Ich gehe nicht euren Weg, ihr Verächter des Leibes. Ihr seid mir keine Brücken zum Übermenschen!

 

Mein Bruder, wenn du eine Tugend hast, und es deine Tugend ist, so hast du sie mit niemandem gemeinsam. Jede deiner Tugenden will deinen ganzen Geist, deine ganze Kraft in Zorn, Hass und Liebe.

 

Seht, aus dem Auge des bleichen Verbrechers redet die große Verachtung. Er wollte Blut und dazu noch Raub. Was ist dieser Mensch? Ein Knäuel wilder Schlangen. Wehe will er tun, mit dem, was ihm wehe tut. Aber es gibt ein andres Böses und Gutes. Vieles an euren Guten macht mir Ekel. Wollte ich doch, sie hätten (gleich ihm) einen Wahnsinn, an dem sie zugrunde gingen. Wahrlich, ich wollte, ihr Wahnsinn hieße Wahrheit oder Treue oder Gerechtigkeit: aber sie haben ihre Tugend, um lange zu leben und in einem erbärmlichen Behagen.

Ich bin ein Geländer am Strome: fasse mich, wer mich fassen kann.

 

Von allem Geschriebenen liebe ich nur das, was Einer mit seinem Blute schreibt.

Ich hasse die lesenden Müßiggänger.

Mutig, unbekümmert, spöttisch, gewalttätig, so will uns die Weisheit.

Ich habe fliegen gelernt.... Jetzt bin ich leicht, jetzt fliege ich, jetzt sehe ich mich unter mir, jetzt tanzt ein Gott durch mich.

 

Z. trifft auf einen Jüngling. Sie stellen Meditationen zu einem Baum an.

 

Es ist mit dem Menschen wie mit dem Baume. Je mehr er hinauf in die Höhe und Helle will, umso stärker streben seine Wurzeln erdwärts, abwärts ins Dunkle, Tiefe, ins Böse.

 

Jüngling:

Wie ist es möglich, dass du meine Seele entdecktest? Ich steige, doch bin ich oben, so macht mich der Frost der Einsamkeit zittern. Wie müde bin ich der Höhe.

 

Z.:

Dieser Baum steht einsam. Wenn er reden wollte, er würde niemanden haben, der ihn verstünde, so hoch wuchs er.

In die freie Höhe willst du, nach Sternen dürstet deine Seele. Aber auch deine schlimmen Triebe dürsten nach Freiheit. ...Ja, ich kenne deine Gefahr. Aber bei meiner Liebe und Hoffnung beschwöre ich dich: wirf deine Liebe und Hoffnung nicht weg! Edel fühlst du dich noch, und edel fühlen dich auch die anderen noch, die dir gram sind und böse Blicke senden. Wisse, dass allen ein Edler im Wege steht. ... Neues will der Edle schaffen und eine neue Tugend. Altes will der Gute, und dass Altes erhalten bleibe. Wirf den Helden in deiner Seele nicht weg! Halte heilig deine höchste Hoffnung!

 

Hütet euch vor den Predigern des Todes. Das sind solche, die in sich das Raubtier herumtragen und keine Wahl haben, es sei denn Lüste und Selbstzerfleischung; dann solche, die sich nach den Lehren der Müdigkeit und Entsagung sehnen. Sie sagen: "Das Leben ist nur Leiden.Wollust ist Sünde. Wozu noch gebären?" Andere sagen:" Mitleid tut not. Nehmt hin, was ich habe. Nehmt hin, was ich bin." Und ihr alle, denen die wilde Arbeit lieb ist, euer Fleiß ist doch nur Flucht und Wille, sich selber zu vergessen. Wenn ihr mehr an das Leben glaubtet, würdet ihr weniger euch dem Augenblicke hinwerfen.

 

Eure Arbeit sei ein Kampf. Euer Friede sei ein Sieg.

Eure Liebe zum Leben sei Liebe zu eurer höchsten Hoffnung: und eure höchste Hoffnung sei der höchste Gedanke des Lebens. Euren höchsten Gedanken aber sollt ihr euch von mir befehlen lassen - und er lautet: der Mensch ist etwas, das überwunden werden soll.

 

Müde wurdet ihr im Kampfe und nun dient eure Müdigkeit dem Staat, dem neuen Götzen, dem kalten Untier. Ködern will er euch. Staat, das ist der langsame Selbstmord aller. Springt doch ins Freie. Leer sind noch viele Sitze für Einsame und Zweisame, um die der Geruch stiller Meere weht. Wahrlich, wer wenig besitzt, wird umso weniger besessen. Gelobt sei die kleine Armut!

 

Abseits vom Markte und Ruhme wohnten von je die Erfinder neuer Werte. Fliehe, mein Freund, in deine Einsamkeit. Du lebtest den Kleinen und Erbärmlichen zu nahe, du Liebhaber der Wahrheit.

Hüte dich vor den Kleinen! Ihre Niedrigkeit glimmt und glüht gegen dich in unsichtbarer Rache.

 

Ich rate euch zur Unschuld der Sinne....Die Keuschheit ist bei einigen eine Tugend, aber bei Vielen beinahe ein Laster.

Wem die Keuschheit schwer fällt, dem ist sie zu widerraten, dass sie nicht der Weg zur Hölle werde.

Keine größere Macht fand Z. auf Erden, als gut und böse.

Werte legte erst der Mensch in die Dinge, sich zu erhalten. Noch hat die Menschheit kein Ziel.

 

In seinem Freunde soll man seinen besten Feind haben. Du sollst ihm am nächsten mit dem Herzen sein, wenn du ihm widerstrebst.

 

Eure Nächstenliebe ist eure schlechte Liebe zu euch selber.

Ihr liebt euch nicht genug. Nicht den Nächsten lehre ich euch, sondern den Freund. Der Freund sei euch das Fest der Erde und ein Vorgefühl des Übermenschen.

 

Willst du den Weg zu dir selber suchen? ... Bist du eine neue Kraft, ein aus sich rollendes Rad? Kannst du auch Sterne zwingen, dass sie um dich sich drehen?... Zeige mir, dass du keiner der Lüstigen und Ehrgeizigen bist. ... Kannst du dir selber dein Böses und dein Gutes geben und deinen Willen über dich aufhängen wie ein Gesetz?...Schreien wirst du einst: Ich bin allein!...Vielen kamst du nahe und gingst doch vorüber; das verzeihen sie dir niemals. Du gehst über sie hinaus: aber je höher du steigst, umso kleiner sieht dich das Auge des Neides. Am meisten aber wird der Fliegende gehasst. Ungerechtigkeit und Schmutz werfen sie nach dem Einsamen. Aber, mein Bruder, wenn du ein Stern sein willst, so musst du ihnen deshalb nicht weniger leuchten!

Ich liebe den, der über sich selber hinaus schaffen will und so zu Grunde geht.

 

Der Mann will Gefahr und Spiel. Deshalb will er das Weib, als das gefährlichste Spielzeug. Im echten Manne ist ein Kind versteckt, das will spielen. Auf, ihr Frauen, so entdeckt mir doch das Kind im Manne. Eure Hoffnung heiße: möge ich den Übermenschen gebären.

Das Glück des Mannes heißt: Ich will. Das Glück des Weibes heißt: Er will.

 

Alte Frau:

Du gehst zu Frauen? Vergiss die Peitsche nicht!

 

Z:

Ehe: so heiße ich den Willen zu Zweien, das Eine zu schaffen, das mehr ist, als die es schufen.

Ach, dieses erbärmliche Behagen zu Zweien!... Nein, ich mag sie nicht, diese im himmlischen Netz verschlungenen Tiere. Ferne bleibe mir auch der Gott, der heranhinkt, zu segnen, was er nicht zusammenfügte.

Über euch hinaus sollt ihr einst lieben. Bitternis ist im Kelch auch der besten Liebe: So macht sie Sehnsucht zum Übermenschen.

 

Wann starb wohl je ein Drache am Gift einer Schlange?

So ihr aber einen Feind habt, so vergeltet ihm nicht Böses mit Gutem; denn das würde ihn beschämen. Sondern beweist, dass er euch etwas Gutes angetan hat. Lieber zürnt und flucht, dass euch das Unrecht, das euch geschah, nicht drückt. Eine kleine Rache ist menschlicher ,als gar keine Rache. Und wenn die Strafe nicht auch ein Recht und eine Ehre ist für den Übertretenden, so mag ich auch euer Strafen nicht. Wie wollte ich gerecht sein von Grund aus.

 

Stirb zur rechten Zeit!

Dass euer Sterben keine Lästerung sei auf Mensch und Erde... In euerm Sterben soll noch euer Geist und eure Tugend glühn.

 

Euch werfe ich den goldenen Ball zu!

 

Eure schenkende Liebe und eure Erkenntnis diene dem Sinn der Erde.

Dem Erhöhten wird die Seele fröhlich.

Ihr Einsamen von heute, aus euch, die ihr euch selber auswähltet, soll ein Volk erwachsen - und aus ihm der Übermensch.

 

Nun heiße ich euch, mich verlieren und euch finden. Und einst will ich euch wiederkehren; mit einer anderen Liebe werde ich euch dann lieben, dass ich den großen Mittag mit euch feiere. Und das ist der große Mittag, da der Mensch auf der Mitte seiner Bahn steht zwischen Tier und Übermensch. Alsda wird sich der Untergehende selber segnen, dass er ein Hinübergehender sei; und die Sonne seiner Erkenntnis wird ihm im Mittage stehn.

 

Stimme:

Also sprach Zarathustra.

 

 

 

 

2. Teil

 

Stimme:

Hierauf ging Zarathustra wieder zurück in das Gebirge und in die Einsamkeit seiner Höhle und entzog sich den Menschen: wartend gleich einem Sämann, der seinen Samen ausgeworfen hat. Also vergingen dem Einsamen Monde und Jahre. Seine Weisheit aber wuchs, bis die Stunde kam, da er erkannte, dass seine Lehre in Gefahr sei. Einem Sturme gleich kam ihm die Seligkeit und er machte sich auf zu den glückseligen Inseln, um den Freunden und auch den Feinden seine wilde Weisheit zu künden.

 

Auf den glückseligen Inseln - Feigenbäume -- Meer ringsumher - Z. spricht zu seinen Freunden

 

Z.:

Seht, welche Fülle ist um uns. Gleich diesen Feigen fallen euch meine Lehren zu, meine Freunde. Und aus dem Überflusse heraus ist es schön hinaus zu blicken auf ferne Meere. Einst sagte man Gott, wenn man auf ferne Meere blickte; nun aber lehre ich euch sagen: Übermensch.

Menschenfeindlich heiße ich`s: all dies Lehren vom Einen und Unvergänglichen! Eure eigenen Sinne sollt ihr zuende denken. Ihr sollt willens sein, euch selber zu schaffen. Wollen befreit. Ach dass die große Müdigkeit mir stets fern bleibe!

Wahrlich, ich mag sie nicht, die Barmherzigen, die selig sind in ihrem Mitleiden. Große Verbindlichkeiten machen nicht dankbar, sondern rachsüchtig. Als ich dem Leidenden half, da verging ich mich hart an seinem Stolz. An seinem Mitleiden mit den Menschen ist Gott gestorben. Alle große Liebe will das Geliebte noch schaffen.

Lernen wir besser uns freuen, so verlernen wir am besten, andern weh zu tun.

Erlöster müssten mir die Priester aussehen.

Dass ihr der alten Worte müde würdet: Lohn, Vergeltung, Strafe, Rache in der Gerechtigkeit, Selbstlosigkeit! Dass eure Tugend euer Selbst sei!

Misstraut allen, in welchen der Trieb zu strafen mächtig ist. Es fehlt ihnen nichts, als Macht.

 

Eine Begierde nach Liebe ist in mir, die redet selber die Sprache der Liebe. Ich lebe in meinem eigenen Lichte. Sie nehmen von mir, aber rühre ich noch an ihrer Seele?

 

Tänzerin

 

Ach, und nun machtest du wieder dein Auge auf, oh geliebtes Leben! Und ins Unergründliche schien ich mir wieder zu sinken.

Einst wollte ich tanzen, wie nie ich noch tanzte: über alle Himmel weg wollte ich tanzen. Da überredetet ihr meinen liebsten Sänger . Und nun stimmte er eine schaurige dumpfe Weise an. Mit seinen Tönen mordete er meine Verzückung. Nur im Tanze weiß ich der höchsten Dinge Gleichnis zu reden; und nun blieb mir mein höchstes Gleichnis ungeredet in meinen Gliedern. Unerlöst blieb mir die höchste Hoffnung. Wie ertrug ich`s nur? Wie erstand meine Seele wieder aus diesen Gräbern? Ja, ein Unverwundbares, ein Unbegrabbares, ist an mir, ein Felsensprengendes: das heißt mein Wille, mein Wille zur Denkbarkeit alles Seienden. Es ist der unerschöpfte, zeugende Lebenswille. Wo ich Lebendiges fand, da fand ich Willen zur Macht. Ihr heißt es Wille zur Zeugung oder Trieb zum Höheren. Aber all dies ist Eins und ein Geheimnis. Nicht Wille zum Leben ist es, sondern Wille zur Macht.

Wahrlich, ich sage euch, Gutes und Böses, das unvergänglich wäre, das gibt es nicht.

Erst wenn der Mensch in seine Sonne springt, wird seine Erkenntnis lächeln und ohne Eifersucht sein. Sein Verlangen wird untertauchen in der Anmut und Schönheit. Unerringbar ist das Schöne allem heftigen Willen. Mit abgeschirrtem Willen stehn: das ist das Schwerste euch allen, ihr Erhabenen. Seine Güte sei dem Gewaltigen seine letzte Selbstüberwindung. Einst wird seine Seele vor göttlichen Begierden schaudern. Dies nämlich ist das Geheimnis der Seele: erst wenn sie der Held verlassen hat, naht ihr, im Traume, der Überheld.

 

Zu weit flog ich in die Zukunft: ein Grauen überfiel mich. Und als ich um mich sah, siehe, da war die Zeit mein einziger Zeitgenosse. Da floh ich rückwärts, so kam ich zu euch , ihr Gegenwärtigen, und ins Land der Bildung. Aber wie geschah mir? So angst mir auch war, ich musste lachen, Nie sah mein Auge etwas so Buntgesprenkeltes! Ich lachte und lachte. Mit fünfzig Klexen bemalt an Gesicht und Gliedern, so saßet ihr da. Vollgeschrieben mit den Zeichen der Vergangenheit.

Alle Zeiten schwätzen widereinander in euren Geistern. Ach, wohin soll ich nun noch steigen mit meiner Sehnsucht?

Zum Mond schauend

Siehe, katzenhaft kommt er daher,der Mond, und unredlich.

Oh, ihr Heuchler und Lüsternen! Euch fehlt die Unschuld in der Begierde: und nun verleumdet ihr drum das Begehren. Wahrlich, nicht als Schaffende, Zeugende, Werdelustige liebt ihr die Erde. Wo ist Unschuld? Wo der Wille zur Zeugung ist. Wo ist Schönheit? Wo ich mit allem Willen wollen muss, wo ich lieben und untergehn will. Wille zur Liebe, das ist, willig auch sein zum Tode.

Zu Ende ging des Mondes Liebschaft. Seht doch hin! Ertappt und bleich steht er da- vor der Morgenröte.

Morgenröte - glühende Sonne

Denn schon kommt sie, die Glühende, ihre Liebe zur Erde kommt. Unschuld und Schöpfer-Begier ist alle Sonnen-Liebe.

Wahrlich, der Sonne gleich liebe ich das Leben, und alle tiefen Meere. Das heißt mir Erkenntnis: alles Tiefe soll hinauf zu meiner Höhe.

Was will meine Einfalt bei der Vielfalt der Gelehrten? Und wie müde bin ich der Dichter.

Sie dachten nicht genug in die Tiefe; ihr Geist ist ein Meer von Eitelkeit.

 

Insel mit rauchendem Feuerberg und Feuerhund

 

Heraus mit dir , Feuerhund, aus deiner Tiefe! Flach und lügnerisch bist du. Viel Gebrüll und Rauch machst du. Aber ich sage euch, die größten Ereignisse - das sind nicht unsre lautesten, sondern unsre stillsten Stunden.

So höret von einem andern Feuerhund: der spricht wirklich aus dem Herzen der Erde. Gold haucht sein Atem und Lachen flattert aus ihm wie ein buntes Gewölke; Das Gold aber und das Lachen - das nimmt er aus dem Herzen der Erde: denn dass du`s nur weißt, das Herz der Erde ist von Gold.

 

Ich sah eine große Traurigkeit über die Menschen kommen. Eine Lehre erging: Alles ist leer, Alles ist gleich, Alles war. Ach, wie soll ich mein Licht hinüber retten? Dass es mir nicht ersticke in dieser Traurigkeit!

Z. fällt in einen tiefen Schlaf. Dann redet er:

Allem Leben hatte ich abgesagt, so träumte mir. Den Geruch verstaubter Ewigkeiten atmete ich; schwül und verstaubt lag meine Seele. Dreimal schlugen Schläge ans Tor, dann riss ein brausender Wind seine Flügel auseinander; pfeifend, schrillend und schneidend warf er mir einen schwarzen Sarg zu. Der zerbarst und spie tausendfältiges Gelächter. Ich schrie vor Grausen, aber der eigene Schrei weckte mich auf und ich kam zu mir.

 

Ein Jünger deutet den Traum:

Bist du nicht selber der Wind, der den Burgen des Todes die Tore aufreißt? Bist du nicht selber der Sarg voll bunter Bosheiten und Engelsfratzen des Lebens? Schrecken und umwerfen wirst du sie mit deinem Gelächter, du Fürsprecher des Lebens. Neue Sterne ließest du uns sehen und neue Nachtherrlichkeiten; Wahrlich, das Lachen selber spanntest du wie ein buntes Gezelt über uns. Nun wird immer Kindeslachen aus Särgen quellen; nun wird immer siegreich ein starker Wind kommen aller Todesmüdigkeit; dessen bist du uns selber Bürge und Wahrsager.

 

Z. blickte dem Traumdeuter lange ins Gesicht und schüttelte dabei den Kopf.

 

Z.:

Wahrlich, ich will ihm noch ein Meer zeigen, in dem er ertrinken kann. (Das ist positiv gemeint als etwas, das noch tiefste Gründe hat.)

 

Als Z. eines Tags über die große Brücke ging, umringten ihn die Krüppel und Bettler, weil sie glaubten, dass er sie heilen könne.

 

Z.:

Wahrlich, meine Freunde, ich wandle unter den Menschen wie unter den Bruchstücken und Gliedmaßen von Menschen. Mein Auge findet immer Bruchstücke, aber keine Menschen. Ich wüsste nicht zu leben, wenn ich nicht noch ein Seher wäre, ein Wollender, ein Schaffender, eine Brücke zur Zukunft. Und das ist all mein Dichten und Trachten, dass ich in Eins dichte und zusammentrage, was Bruchstück ist und Rätsel und grauser Zufall.

Höheres als alle Versöhnung muss der Wille wollen, welcher der Wille zur Macht ist.

Z. erschrickt kurz, dann lacht er wieder:

Es ist schwer, mit Menschen zu leben, weil Schweigen so schwer ist. Sonderlich für einen Geschwätzigen.

 

Ich schone die Eitlen mehr als die Stolzen. Wer ermisst am Eitlen die ganze Tiefe seiner Bescheidenheit? Er nährt sich an euren Blicken, er frisst das Lob aus euren Händen. Euren Lügen glaubt er noch, wenn ihr gut über ihn lügt: denn im Tiefsten seufzt sein Herz: Was bin ich! Der Eitle aber weiß nicht um seine Bescheidenheit.

 

Traum

 

Stimme :

Du weißt es, Zarathustra, aber du redest es nicht. Sprich dein Wort und zerbrich.

 

Z.:

Noch versetzte mein Wort keine Berge, und was ich redete, erreichte die Menschen nicht.

 

Stimme:

Der Tau fällt auf das Gras, wenn die Nacht am verschwiegensten ist. Du bist einer, der das Gehorchen verlernt hat, nun sollst du befehlen.

 

Z.:

Mir fehlt des Löwen Stimme.

 

Stimme: flüstert

Die stillsten Worte sind es , welche den Sturm bringen. Gedanken, die mit Taubenfüßen kommen, lenken die Welt. Oh Zarathustra, du sollst gehen als ein Schatten dessen, was kommen muss: so wirst du befehlen und befehlend vorangehen.

 

Z:

Ich schäme mich.

 

Stimme:

Du musst noch Kind werden und ohne Scham.

 

Z.:

Ich will nicht .

 

Stimme: lacht fürchterlich

Oh Zarathustra, deine Früchte sind reif, aber du bist nicht reif für deine Früchte. So musst du wieder in die Einsamkeit.

 

Z.:

Ach, meine Freunde, ich hätte euch noch etwas zu sagen, ich hätte euch noch etwas zu geben. Warum gebe ich es nicht? Bin ich denn geizig?

 

Stimme:

Als Zarathustra aber diese Worte gesprochen hatte, überfiel ihn die Gewalt des Schmerzes. Des Nachts aber ging er allein fort und verließ seine Freunde.

 

 

 

 

Dritter Teil

 

Z. wandert über den höchsten Berg der Insel zum Meer, um ein Schiff zu besteigen.

 

Z.:

Die Liebe ist die Gefahr des Einsamen, die Liebe zu allem, wenn es nur lebt! Ich stehe jetzt vor meinem letzten Gipfel . Gelobt sei, was hart macht. Von sich absehn lernen ist nötig, um viel zu sehn.

Z. sieht das andere Meer vor ihm ausgebreitet.

Die Berge kommen aus dem Meer. Aus dem Tiefsten muss das Höchste zu seiner Höhe kommen.

 

Z. befindet sich jetzt auf einem Schiff gemeinsam mit Abenteuerlustigen.

 

Euch, den kühnen Suchern, erzähle ich das Gesicht des Einsamsten. Düster ging ich einst durch leichenfarbne Dämmerung. Einem Kranken glich ich. Aber es gibt etwas in mir, das ich Mut heiße. Der Mut schlägt auch das Mitleiden tot. Mitleiden aber ist der tiefste Abgrund.

Ein Hund heult, der Mond scheint.

Einen jungen Hirten sah ich, sich windend, würgend, dem eine schwarze schwere Schlange aus dem Munde hing. Meine Hand riss die Schlange. Umsonst! Da schrie es aus mir: Beiß zu! Beiß zu! Den Kopf ab! Beiß zu! Der Hirt aber biss mit gutem Biss. Weit weg spie er den Kopf der Schlange. Nicht mehr Hirt, nicht mehr Mensch - ein Verwandelter, ein Umleuchteter, welcher lachte. Oh meine Brüder, ich hörte ein Lachen, das keines Menschen Lachen war - und nun frisst ein Durst an mir, eine Sehnsucht, die nimmer stille wird.

 

Nach vier Tagen hat Z. seinen Schmerz überwunden.

 

Allein bin ich wieder und will es sein.

Gefährten suchte einst der Schaffende und Kinder seiner Hoffnung: und siehe, es fand sich, dass er sie nicht finden könne, es sei denn, er schaffe sie selber erst. Einstmals will ich meine Bäume ausheben und einen Jeden für sich allein stellen: dass er Einsamkeit lerne und Trotz und Vorsicht. Als ein lebendiger Leuchtturm unbesiegbaren Lebens soll er dastehn. Dass er einst mein Gefährte werde und ein Mitschaffender und Mitfeiernder Zarathustras. Um seinetwillen muss ich selber mich vollenden. Alle sagten :Geh! Aber ich lag angekettet an die Liebe zu meinen Kindern: das Begehren nach Liebe legte mir diese Schlinge. Begehren, das heißt mir schon: mich verloren haben. Noch war ich nicht stark genug zum letzten Löwenübermute und Mutwillen.

 

Am nächsten Morgen. Z. ist glücklich.

 

Oh Himmel über mir, du Reiner! Tiefer! Du Licht-Abgrund! Dich schauend schaudere ich vor göttlichen Begierden. Vor der Sonne kamst du zu mir, dem Einsamsten. Wir reden nicht zueinander, weil wir zu vieles wissen - wir schweigen uns an, wir lächeln uns unser Wissen zu. Zusammen lernten wir alles; zusammen lernten wir über uns zu uns selber aufsteigen und wolkenlos lächeln: Und wanderte ich allein: wes hungerte meine Seele ? Und stieg ich Berge, wen suchte ich je, wenn nicht dich? Fliegen allein will mein ganzer Wille, in dich hinein fliegen!

Ich bin ein Segnender und ein Ja-Sager, wenn du nur um mich bist, du Reiner, Lichter, du bist mir ein Tanzboden für göttliche Zufälle. Du errötest? Heißest du mich gehn und schweigen? Oh Himmel über mir, du Schamhafter, Glühender! Oh du mein Glück vor Sonnenaufgang! Der Tag kommt: so scheiden wir nun.

 

Stimme:

Als Zarathustra wieder auf dem festen Lande war, ging er nicht straks auf sein Gebirge und seine Höhle los, sondern tat viele Wege und erkundete dies und das. Denn er wollte in Erfahrung bringen, was sich inzwischen mit dem Menschen zugetragen habe.

 

Z. schaut sich um. Die Häuser kommen ihm viel kleiner vor.

 

Z.:

Oh wann komme ich wieder in meine Heimat, wo ich mich nicht mehr bücken muss vor den Kleinen.

Sie vergeben mir es nicht, dass ich auf ihre Tugenden nicht neidisch bin. Ich bin höflich gegen sie wie gegen alles kleine Ärgernis. Sie reden alle - von mir, aber niemand denkt - an mich. Sie husten, wenn ich rede; sie erraten nichts vom Brausen meines Glückes. Des Mannes ist hier wenig: darum vermännlichen sich ihre Weiber. Denn nur wer Mannes genug ist, wird im Weibe das Weib - erlösen. Tugend ist ihnen das, was bescheiden und zahm macht: Dies aber ist Mittelmäßigkeit: ob es schon Mäßigkeit heißt.

Ihr werdet immer kleiner, ihr kleinen Leute. Ihr bröckelt ab, ihr Behaglichen! Ihr geht mir noch zu Grunde! Dass ein Baum groß werde, dazu will er um harte Felsen harte Wurzeln schlagen.

 

Liebt euren Nächsten , aber seid mir erst solche, die sich selber lieben.

Mit der großen Liebe lieben, mit der großen Verachtung lieben.

Noch ist es zu früh. Aber ihre Stunde kommt, und es kommt auch die meine.

Oh gesegnete Stunde des Blitzes! Verkünder mit Flammenzungen will ich aus ihnen machen. Er kommt, er ist nahe, der große Mittag!

 

Winter

 

Der Winterhimmel, der Schweigsame, lernte ich wohl von ihm das Schweigen? Dass mir Niemand in meinen Grund und letzten Willen hinabsehe, dazu erfand ich mir das lange lichte Schweigen. Und muss ich mich nicht verbergen gleich einem, der Gold verschluckt hat, dass man mir nicht die Seele aufschlitze? Diese räucherigen, stubenwarmen, verbrauchten, vergrämelten Seelen - wie könnte ihr Neid mein Glück ertragen!

Mögen sie mich bemitleiden ob meiner Frostbeulen, im Sonnenwinkel meines Oelberges singe und spotte ich alles Mitleids.

 

Z. kommt auf dem Nachhauseweg vor das Tor einer großen Stadt. Hier kommt ihm der Narr entgegen, den das Volk den Affen Zarathustras nennt.

 

Narr:

Oh, Z., in der großen Stadt hast du alles zu verlieren. Kehr um. Hier werden große Gedanken nur klein gekocht. Hier verwesen alle großen Gefühle. Sie hetzen und erhitzen einander, sie klingeln mit ihrem Golde. Sie suchen Wärme bei gebrannten Wassern, sie sind süchtig an öffentlichen Meinungen. Es gibt auch Tugendhafte und Fromme und viel gläubige Speichellecker und Schmeichelbäcker. Der Fürst denkt, aber der Krämer lenkt. Speie auf diese Stadt, Z., und kehre um.

 

Z.:

Hör endlich auf ! Ich verachte dein Verachten. Aus der Liebe allein soll mir mein Verachten und mein warnender Vogel auffliegen: aber nicht aus dem Sumpfe. Hat dir niemand genug geschmeichelt? Rache ist all dein Schäumen. Mich ekelt auch dieser großen Stadt, aber wo man nicht mehr lieben kann, da soll man vorübergehn!

 

Z. ist wieder in seiner Höhle.

 

Oh Einsamkeit, du meine Heimat Einsamkeit! Unter den Vielen war ich verlassener als je bei dir. Unter den Menschen werde ich immer fremd sein.

Oh selige Stille um mich! Oh reine Gerüche um mich! Aber da unten, da redet alles, alles bei ihnen redet. Alles wird zerredet. Alles wird verraten.

Mit seligen Nüstern atme ich wieder Berges-Freiheit.

 

Welches sind in der Welt die drei bestverfluchten Dinge? Wollust, Herrschsucht, Selbstsucht. Diese will ich menschlich gut abwägen.

Wollust - allen Leib-Verächtern ihr Stachel

Wollust: für die freien Herzen unschuldig und frei, das Garten-Glück der Erde

Herrschsucht: die düstre Flamme lebendiger Scheiterhaufen

Herrschsucht, die aber lockend auch hinauf zu selbstgenügsamen Höhen steigt, glühend gleich einer Liebe, welche purpurne Seligkeiten lockend an Erdenhimmel malt. Nichts Sieches und Süchtiges ist an solchen Gelüsten. Dass die einsame Höhe sich nicht ewig vereinsame, dass der Berg zu Tale komme.

Die heilige, gesunde Selbstsucht, die aus mächtiger Seele quillt, preise ich selig. Solche Selbst-Lust bannt mit den Namen ihres Glücks von sich alles Verächtliche.

 

Feind bin ich dem Geist der Schwere und ungeduldig bin ich zu fliegen.

Wer die Menschen einst fliegen lehrt, der hat alle Grenzsteine verrückt. Wer aber leicht werden will und ein Vogel, der muss sich selber lieben. Der Mensch schleppt zu vieles Fremde auf seinen Schultern; auch manches Eigene ist schwer zu tragen. Und viel Inwendiges am Menschen ist der Auster gleich, nämlich ekel und schlüpfrig und schwer erfasslich.

Wer einst fliegen will, der muss erst stehn und gehn und laufen und klettern und tanzen lernen - man erfliegt das Fliegen nicht.

Ein Versuchen und Fragen war all mein Gehen. Das ist mein Weg. Wo ist der Eure?

 

Noch einmal will ich zu den Menschen gehn, doch erst müssen mir die Zeichen kommen, dass es meine Stunde sei, nämlich der lachende Löwe mit dem Taubenschwarme.

Inzwischen rede ich zu mir selber.

Ich hieß die Menschen lachen über ihre großen Tugend-Meister und Heilige und Dichter und Welt-Erlöser. Meine weise Sehnsucht schrie und lachte aus mir, meine große flügelbrausende Sehnsucht, und riss mich hinaus in ferne Zukünfte, die kein Traum noch sah, dorthin, wo Götter tanzend sich aller Kleider schämen, wo die Welt los- und ausgelassen als ein ewiges Sich-Fliehn und Wiedersuchen vieler Götter dünkt. Wo alle Zeit mich ein seliger Hohn auf Augenblicke dünkte. Und auch der Geist der Schwere war da, dass über ihn hinweggetanzt würde.

Dort war`s auch, wo ich das Wort Übermensch vom Wege auflas, und dass der Mensch etwas sei, das überwunden werden müsse. Dass der Mensch eine Brücke sei und kein Zweck. Auch neue Sterne ließ ich sie sehn samt neuen Nächten; und über Wolken und Tag und Nacht spannte ich noch das Lachen aus wie ein buntes Gezelt. Ich lehrte sie an der Zukunft schaffen und alles, das war, schaffend zu erlösen, bis der Wille spricht: Aber so wollte ich es.

 

Nun warte ich meiner Erlösung, dass ich zum letztenmale zu ihnen gehe. Unter ihnen will ich untergehn. Sterbend will ich ihnen meine reichste Gabe geben.

Der Sonne lernte ich das ab, wenn sie hinabgeht, die Überreiche: Gold schüttet sie da ins Meer aus unerschöpflichem Reichtume. Also, dass der ärmste Fischer noch mit goldenem Ruder rudert! Dies nämlich sah ich einst und wurde der Tränen nicht satt im Zuschaun. Der Sonne gleich will auch Z. untergehn.

 

Zerbrecht mir, ihr Erkennenden, die alten Tafeln!

Nicht, woher ihr kommt, mache euch fürderhin eure Ehre, sondern wohin ihr geht.

Das Leben ist ein Born der Lust, aber aus wem Trübsal redet, dem sind alle Quellen vergiftet. Oh meine Brüder, geht eure Wege!

 

Euer Eheschließen: seht zu, dass es nicht ein schlechtes Schließen sei! Ihr schlosset zu schnell: so folgt daraus - Ehebrechen!

Und besser noch Ehe-brechen als Ehe-biegen, Ehelügen. Schlimm-Gepaarte fand ich immer als die schlimmsten Rachsüchtigen: sie lassen es aller Welt entgelten, dass sie nicht mehr einzeln laufen. Deswegen will ich, dass Redliche zueinander reden: Wir lieben uns: lasst uns zusehn, dass wir uns lieb behalten. Es ist ein großes Ding immer zu Zwein zu sein. Also rate ich allen Redlichen, nicht nur fort euch zu pflanzen, sondern hinauf - dazu, oh meine Brüder, helfe euch der Garten der Ehe.

 

Falsche Sicherheiten lehrten Euch die Guten.

Lernt aufrecht gehen!

Oh du mein Wille, bewahre mich vor allen kleinen Siegen; spare mich auf zu Einem großen Schicksal! Dass ich einst bereit sei zu mir selber und zu meinem verborgensten Willen, ein Pfeil brünstig nach seinem Sterne, eine Sonne selber.

 

 

Eines Morgens , nicht lange nach seiner Rückkehr zur Höhle, sprang Z. von seinem Lager auf wie ein Toller, schrie mit furchtbarer Stimme und gebärdete sich, als ob noch Einer auf dem Lager läge. Und alles Getier huschte davon, fliegend, flatternd, kriechend, springend.

 

Z.:

Herauf, abgründlicher Gedanke, aus meiner Tiefe! Auf! Nicht röcheln, reden sollst du! Ekel, Ekel, wehe mir!

 

Z. fällt wie tot zu Boden, kommt wieder zu sich, bleich und zitternd, riecht an einem Rosenapfel und beginnt zu reden.

 

Seine Tiere:

Oh Z. , tritt hinaus aus deiner Höhle. Die Welt wartet dein wie ein Garten. Kam wohl eine neue Erkenntnis zu dir, eine saure schwere?

 

Z.:

Der große Überdruss am Menschen, der würgte mich.

 

Tiere:

Sprich nicht weiter, sondern geh hinaus zu den Rosen und Bienen und Singevögeln, dass du ihnen das Singen ablernst. Heile mit neuen Liedern deine Seele. Du bist der Lehrer der ewigen Wiederkunft. Die Seelen sind so sterblich wie die Leiber. Aber der Knoten von Ursachen kehrt wieder, in den der Mensch verschlungen ist - der wird ihn wieder schaffen.

 

Z. liegt mit geschlossenen Augen; Schlange und Adler machen sich behutsam davon.

 

Z.:

Oh meine Seele, schon glühst du und träumst, schon ruht deine Schwermut in der Seligkeit zukünftiger Gesänge. Singe, oh meine Seele, und mich lass danken.

 

Tänzerin

 

In dein Auge schaute ich jüngst, oh Leben. Gold sah ich in deinem Nachtauge blinken. Mein Herz stand still vor dieser Wollust.

Einen goldenen Kahn sah ich blinken auf nächtigen Gewässern. Nach meinem Fuße, dem tanzwütigen, warfst du einen Blick. Da schaukelte schon mein Fuß vor Tanzwut. Zu dir sprang ich, da flohst du zurück. Von dir weg sprang ich, da standst du schon, halbgewandt, das Auge voll Verlangen. Ich fürchte dich, Nahe, ich liebe dich Ferne; deine Flucht lockt mich, dein Suchen stockt mich: - ich leide, aber was litt ich um dich nicht gerne. Deren Kälte zündet, deren Hass verführt, deren Flucht bindet, deren Spott - rührt. Wer hasste dich nicht, dich große Binderin, Umwinderin, Versucherin, Sucherin, Finderin! Wer liebte dich nicht, dich unschuldige, ungeduldige, windseilige, kindsäugige Sünderin! Das ist ein Tanz über Stock und Stein. Ich bin der Jäger. Willst du mein Hund oder meine Gemse sein? Oh sieh mich liegen, du Übermut, und um Gnade flehn. Gerne möchte ich mit dir - lieblichere Pfade gehn. Der Liebe Pfade durch stille bunte Büsche. Oder dort den See entlang: da schwimmen und tanzen Goldfische. Du bist jetzt müde? Da drüben sind Schafe und Abendröten: ist es nicht schön zu schlafen, wenn Schäfer flöten? Du bist so arg müde? Ich trage dich hin, lass nur die Arme sinken. Und hast du Durst - ich hätt wohl etwas, aber dein Mund will es nicht trinken. Oh diese verfluchte flinke gelenke Schlange und Schlupf-Hexe. Wo bist du hin? Aber im Gesicht fühle ich von deiner Hand zwei Tupfen und rote Klexe. Ich bin es wahrlich müde, immer dein schafichte Schäfer zu sein. Du Hexe, habe ich dir bisher gesungen, nun sollst du mir - schrein.

Nach dem Takt meiner Peitsche sollst du mir tanzen und schrein. Ich vergaß doch die Peitsche nicht? Nein!

Da antwortete mir das Leben:

 

Tänzerin:

 

Wir sind beide zwei rechte Tunichtgute und Tunichtböse. Jenseits von Gut und Böse fanden wir unser Eiland. Wir lieben uns nicht von Grund aus, aber muss man sich darum denn Gram sein? Dass ich dir gut bin, das weißt du, darum, weil ich eifersüchtig bin auf deine Weisheit. Wenn dir deine Weisheit einmal davonliefe, ach, da liefe dir schnell auch meine Liebe davon. (Leise) Oh Z., du bist mir nicht treu genug. Du denkst daran, dass du mich bald verlassen willst.

 

Z.:

Ja, antwortete ich zögernd, aber du weißt es auch ... (sagt ihr etwas ins Ohr)

 

Tänzerin:

Du weißt Das, oh Z.? Das weiß niemand.

 

Z.:

Und wir sahen uns an und weinten miteinander.

Damals aber war mir das Leben lieber als je alle meine Weisheit.

 

1.

Oh Mensch! Gib Acht!

2.

Was spricht die tiefe Mitternacht?

3.

Ich schlief, ich schlief.

4.

Aus tiefem Traum bin ich erwacht.

5.

Die Welt ist tief.

6.

Und tiefer als der Tag gedacht.

7.

Tief ist ihr Weh.

8.

Lust - tiefer noch als Herzeleid:

9.

Weh spricht: Vergeh!

10.

Doch alle Lust will Ewigkeit,

11.

will tiefe, tiefe Ewigkeit.

12.

 

Wie sollte ich nicht nach der Ewigkeit brünstig sein und nach dem hochzeitlichen Ring der Ringe, dem Ring der Wiederkunft? Nie noch fand ich das Weib, von dem ich Kinder mochte, es sei denn dieses Weib, das ich liebe: denn ich liebe dich, oh Ewigkeit! Denn ich liebe dich, oh E w i g k e i t !

 

 

 

Vierter Teil

 

Stimme:

Und wieder liefen Monde und Jahre über Zarathustras Seele, und er achtete dessen nicht.

 

Z. sitzt vor seiner Höhle auf Bergeshöhe und schaut aufs Meer

 

Tiere:

Oh Z., schaust du wohl aus nach deinem Glücke?

 

Z.:

Was liegt am Glücke. Ich trachte nach meinem Werke.

 

Tiere:

Liegst du nicht in einem himmelblauen See von Glück?

 

Z.:

Aber ihr wisst auch, dass mein Glück schwer ist gleich geschmolzenem Peche!

Mein Glück selber werfe ich hinaus in alle Weiten und Fernen, ob nicht an meinem Glücke viele Menschenfische zerrn und zappeln lernen. Bis sie hinauf müssen in meine Höhe.

Noch warte ich der Zeichen, dass es Zeit sei zu meinem Niedergange.

Hinaus, hinaus, meine Angel! Oh welch viele Meere rings um mich, welch dämmernde Menschen-Zukünfte! Und über mir - welch rosenrote Stille! Welch entwölktes Schweigen!

 

Als aber Z. dasaß. mit einem Stecken in der Hand, und den Schatten seiner Gestalt auf der Erde abzeichnete, da erschrak er mit einem Male, denn er sah neben seinem Schatten noch einen anderen Schatten. Da stand der Wahrsager neben ihm, der Verkündiger der großen Müdigkeit.

 

Wahrsager:

Alles ist gleich, es lohnt sich nichts. Welt ist ohne Sinn, Wissen würgt.

 

Über das Gesicht des Wahrsagers laufen aschgraue Blitze. Er will sie wegwischen.

 

Z.:

Sei mir willkommen, du Wahrsager, und vergib es, dass ich vergnügt bin.

 

Wahrsager:

Oh Z., die Wellen um deinen Berg steigen und steigen. Die Wellen großer Not und Trübsal. Hörst du noch nichts? Rauscht und braust es nicht herauf aus der Tiefe?

 

Da hörte Z. einen langen, langen Schrei, welchen die Abgründe sich zuwarfen, denn keiner wollte ihn behalten, so böse klang er.

 

Z.:

Was geht mich Menschen-Not an?

 

Da erscholl der Schrei abermals.

 

Wahrs.:

Hörst du, Z.? Dir gilt der Schrei. Komm, ruft er, es ist höchste Zeit.

 

Z. : verwirrt und erschüttert

Und wer ist das, der dort mich ruft?

 

Wahrs.:

Du weißt es, der höhere Mensch ist es, der nach dir schreit.

 

Z.: von Grausen erfasst

Der höhere Mensch, was will der hier?

 

Stille, Z. zittert.

 

Wahrs.: mit trauriger Stimme

Oh Z., es gibt keine glückseligen Inseln mehr. Alles ist gleich, es lohnt sich nichts.

 

Z. wird wieder hell und sicher

 

Z.:

Nein, nein! Dreimal nein! Das weiß ich besser, du seufzender Trauersack! Was aber deinen höhern Menschen angeht, ich suche ihn flugs in jenen Wäldern: daher kam sein Schrei.Vielleicht bedrängt ihn da ein böses Tier.

 

Wahrsager:

Du willst mich lossein. Aber was hilft es dir? Des Abends werde ich in deiner eignen Höhle sitzen und auf dich warten.

 

Z.:

Des Abends wollen wir guter Dinge sein. Und du selber sollst zu meinen Liedern als mein Tanzbär tanzen. Du glaubst nicht daran? Wohlauf, alter Bär, auch ich bin ein Wahrsager.

 

Zwei Könige, mit Kronen und Purpurgürteln, bunt wie Flamingos, treiben einen Esel vor sich her.

 

Könige:

Pfui, unter dem Gesindel die Ersten zu bedeuten. Was liegt noch an uns Königen!

 

Z.:

Ich bin Z., der einst sprach: Was liegt noch an Königen? Was mögt ihr wohl in meinem Reiche suchen? Vielleicht aber fandet ihr unterwegs, was ich suche: nämlich den höheren Menschen.

 

Könige : schlagen sich an die Brust

Siehe, wir sind unterwegs, dass wir den höheren Menschen fänden, ihm führen wir diesen Esel zu. Der höchste Mensch nämlich soll auf Erden auch der höchste Herr sein.

 

Z.: spöttelnd

Welche Weisheit bei Königen! Ich bin entzückt.

Wohlan, da liegt die Höhle Zarathustras. Mich ruft ein Notschrei. Der Könige ganze Tugend, die ihnen übrig blieb, heißt sie nicht: Warten-können?

 

Z. tritt auf einen am Boden liegenden Menschen, schlägt ihn dann noch erschreckt, will ihn beruhigen, entdeckt, dass der Mann einen blutenden Arm hat.

 

Z.:

Es ging dir schlimm, du Unseliger, in diesem Leben: erst biss dich ein Tier, und dann trat dich der Mensch.

 

Gewissenhafter des Geistes:

Oh Glück, oh Wunder! Gelobt sei der große Gewissens-Blutegel Zarathustra!

 

Z.:

Wer bist du?

 

Gewissenhafter des Geistes:

Ich bin der Gewissenhafte des Geistes. Ich gehe auf den Grund. Es ekelt mich aller Halben des Geistes, aller Dunstigen, Schwebenden, Schwärmerischen. Wo ich wissen will, will ich redlich sein, hart, streng, und unerbittlich. Mit eignem Blute mehrte ich mir das eigene Wissen.

 

Z.:

Dort hinauf führt der Weg zu meiner Höhle: heute Nacht sollst du dort mein Gast sein.

 

Z. begegnet einem Tobsüchtigen, dem Büßer des Geistes

 

Z.:

Der dort muss wohl der höhere Mensch sein, von ihm kam jener schlimme Notschrei.

 

Z. bemüht sich vergeblich, ihn auf die Beine zu stellen. Mit rührenden Gebärden schaut der Unglückliche um sich - wie ein Welt-Verlassener.

 

Büßer des Geistes (Dichter):

Wer wärmt mich, wer liebt mich noch?

Geschüttelt, ach, von unbekannten Fiebern.

Von dir gejagt, Gedanke!

Unnennbarer! Verhüllter! Entsetzlicher!

Du höhnisch Auge, das mich aus Dunkelm anblickt:

So liege ich

Getroffen

Von Dir, grausamster Jäger,

Du unbekannter - Gott!

Nicht töten willst du?

Nur martern, martern?

Wozu - mich martern?

Du schadenfroher unbekannter Gott?

Weg, weg!

Du Eifersüchtiger!

Willst du einsteigen in meine heimlichsten Gedanken?

 

Z. : schlägt mit einem Stock auf ihn ein

Halt ein! Du Schauspieler! Du Falschmünzer! Ich erkenne dich wohl. Du schlimmer Zauberer.

 

Büßer des Geistes (Dichter):

Lass ab, oh Z., ich trieb`s also nur zum Spiele. Dich selber wollte ich auf die Probe stellen. Hart schlägst du zu mit deinen Wahrheiten, du weiser Zarathustra.

 

Z.:

Schmeichle nicht. Du bist falsch. Du Meer der Eitelkeit.

 

Büßer des Geistes (Dichter):

Den Büßer des Geistes spielte ich, den Dichter und Zauberer, der gegen sich selber endlich seinen Geist wendet.

 

Z.:

Kein Wort ist an dir echt, nur der Ekel, der an deinem Munde klebt.

 

Büßer des Geistes (Dichter) : schreit und ein grüner Blitz fährt ihm aus dem Auge

Wer darf also zu mir reden, dem Größten, der heute lebt? Er verwandelt sich, spricht jetzt traurig Ich bin nicht groß, was verstelle ich mich. Ich suchte nach Größe. Einen großen Menschen wollte ich vorstellen und überredete Viele. Aber diese Lüge ging über meine Kraft. An ihr zerbreche ich.

 

Z.:

Das ist Dein Redlichstes, dass du deiner müde wurdest. Darum ehre ich dich als einen Büßer des Geistes. Diesen Einen Augenblick warst du echt. Was suchst du hier in meinen Wäldern?

 

Büßer des Geistes (Dichter):

Ich suche einen Echten, Rechten, Einfachen, Eindeutigen, einen Menschen aller Redlichkeit, ein Gefäß der Weisheit, einen Heiligen der Erkenntnis, einen großen Menschen! Ich suche Zarathustra.

 

Z. aber versank tief hinein in sich selber, also dass er die Augen schloss.

 

Z:

Wohlan, da liegt die Höhle. In ihr darfst du suchen, wen du finden möchtest. Ich selber freilich - ich sah noch keinen großen Menschen. So Manchen fand ich schon, der streckte und blähte sich. Einem Geschwollenen in den Bauch stechen, das heiße ich eine brave Kurzweil.

 

Also sprach Z. und ging lachend seines Weges fürbass.

Ein schwarzer langer Mann mit einem hageren Bleichgesicht sitzt am Wege.

 

Z.:

Wehe, da sitzt vermummte Trübsal. Das dünkt mich von der Art der Priester.

 

Papst:

Ich suchte einen Heiligen, der, allein in seinem Walde, noch nichts davon gehört hat, was alle Welt heute weiß.

 

Z.:

Was weiß heute alle Welt? Dass der alte Gott nicht mehr lebt?

 

Papst:

Du sagst es. Wisse, ich bin der letzte Papst. Den Heiligen fand ich nicht. Da entschloss sich mein Herz, dass ich den Frömmsten suchte derer, die nicht an Gott glauben, dass ich Z. suchte. Er blickt scharfen Auges Z. an, der ergreift seine Hand.

 

Z.:

Siehe da, du Ehrwürdiger, welche schöne und lange Hand. Das ist die Hand eines solchen, der immer Segen ausgeteilt hat. Nun aber hält sie den fest, welchen du suchst, mich, Z., der Gottloseste.

 

Papst:

Wer ihn am meisten liebte und besaß, der hat ihn am meisten verloren.

 

Z. : nachdenklich

Ist es wahr, was man spricht, dass die Liebe zum Menschen seine Hölle wurde?

 

Der Papst blickt scheu und schmerzlich und düster zur Seite.

 

Z.:

Lass ihn fahren. Er ging wunderliche Wege.

 

Papst :erheitert

In Dingen Gottes bin ich aufgeklärter als Z. selber. Es war ein verborgener Gott. Als er jung war, dieser Gott, war er hart und rachsüchtig . Endlich aber wurde er alt und weich und mürbe und mitleidig, am ähnlichsten einer wackeligen alten Großmutter. Weltmüde und willensmüde erstickte er eines Tags an seinem allzu großen Mitleiden.

 

Z.:

Zu vieles missriet ihm. Dass er aber Rache nahm an seinen Geschöpfen, dafür, dass sie ihm schlecht gerieten, das war eine Sünde wider den guten Geschmack. Lieber auf eigne Faust Schicksal machen, lieber Narr sein, lieber selber Gott sein.

 

Papst:

Oh Z., du bist frömmer als du glaubst, mit einem solchen Unglauben. Ist es nicht deine Frömmigkeit selber, die dich nicht mehr an einen Gott glauben lässt? Und deine übergroße Redlichkeit wird dich auch noch jenseits von Gut und Böse wegführen. Du hast Augen und Hand und Mund, die sind zum Segnen vorherbestimmt seit Ewigkeit. Lass mich dein Gast sein, oh Z., für eine einzige Nacht.

Z. : mit Verwunderung

Meine Höhle ist ein guter Hafen. Lange, wahrlich, möchten wir warten, bis dir einer deinen Gott wieder aufweckt. Der alte Gott nämlich lebt nicht mehr: Er ist tot.

 

Nirgends findet Z. den großen Notleidenden. Die Landschaft verändert sich auf einmal. Z. tritt in das Reich des Todes. Kein Gras, kein Baum, keine Vogelstimme, nur hässliche sterbende grüne Schlangen.

Z. versinkt in schwarzer Erinnerung. Etwas Gurgelndes und Röchelndes sitzt am Wege.

 

Hässlicher:

Du dünkst dich weise, du stolzer Z., so rate: Wer bin ich?

 

Z. fällt das Mitleiden an. Er sinkt nieder. Aber schon steht er wieder auf. Sein Antlitz wird hart.

 

Z.:

Du bist der Mörder Gottes. Du ertrugst Den nicht, der Dich durch und durch sah, du hässlichster Mensch!

 

Hässlicher : packt Z`s Gewand, gurgelt

Bleib! Geh nicht vorüber! Du errietest, wie dem zumute ist, der ihn tötete - dem Mörder Gottes. Setze dich, blicke mich aber nicht an. Ehre also - meine Hässlichkeit. Sie verfolgen mich. Nicht mit ihrem Hasse, ihr Mitleid ist`s, vor dem ich flüchte. Dass du an mir vorübergingst, schweigend, daran erkannte ich dich. Deine Scham, oh Z., ehrte mich. Du lehrst: Mitleiden ist zudringlich. Mitleiden geht gegen die Scham. Nicht-helfen-wollen kann vornehmer sein als jene Tugend, die zuspringt. Die Mitleider haben keine Ehrfurcht vor großem Unglück. Es sind kleine wohlwollige wohlwillige Leute. ER musste sterben. Er sah des Menschen Tiefen und Gründe, alle seine verhehlte Schmach und Hässlichkeit. Er kroch in meine schmutzigsten Winkel, dieser Überzudringliche. An ihm wollte ich Rache haben.

 

Z. will fortgehn, denn ihn fröstelt bis in seine Eingeweide.

 

Z.:

Siehe, dort hinauf liegt die Höhle Zarathustras. Dicht bei ihr sind hundert Schlüpfe und Schliche für kriechendes, flatterndes und springendes Getier.

Z. geht seiner Wege:

Keinen fand ich noch, der sich tiefer verachtet hätte. Auch das ist Höhe! Ich liebe die großen Verachtenden. Der Mensch aber ist etwas, das überwunden werden muss.

 

Z. friert und fühlt sich einsam. Er wandert weiter, ihm wird wärmer. Mitten unter Kühen entdeckt er einen friedfertigen Bergprediger.

 

Z.:

Was suchst du hier?

 

Freiwilliger Bettler:

Dasselbe, was du suchst, nämlich das Glück auf Erden. So wir nicht werden wie die Kühe, so kommen wir nicht in das Himmelreich. erschreckt, springt hoch Wer ist das, mit dem ich rede? Dies ist Z., der Überwinder des großen Ekels. küsst Z. die Hände

 

Z.:

Bist du nicht der freiwillige Bettler, der sich seines Reichtums schämte und zu den Ärmsten floh? Aber sie nahmen ihn nicht an.

 

Bettler:

Gier, Neid, Rachsucht, Pöbelstolz, das sprang mir alles ins Gesicht. Es ist nicht mehr wahr, dass die Armen selig sind. Das Himmelreich ist bei den Kühen. Sie erfanden sich das Wiederkäuen und In-der-Sonne-Liegen und enthalten sich aller schweren Gedanken.

 

Z.:

Dorthin führt der Weg zu meiner Höhle. Sei diese Nacht mein Gast. Jetzt ruft ein Notschrei mich eilig weg von dir.

 

 

Schatten:

Halt, Z., so warte doch, ich bin`s , dein Schatten!

 

Z.: unwillig, erschrickt angesichts des dünnen, schwärzlichen , hohlen Schattens

Wer bist du? Was treibst du hier? Du gefällst mir nicht.

 

Schatten:

Ein Wanderer bin ich, immer unterwegs. Dir, oh Z., zog ich am längsten nach. Mit dir strebte ich in jedes Verbotene, Schlimmste , Fernste. Mit dir verlernte ich den Glauben an Worte und Werte und große Namen. Zu viel klärte sich mir auf. Nun geht es mich nichts mehr an. Nichts lebt mehr, das ich liebe. Wie sollte ich noch mich selber lieben? Leben wie ich Lust habe, oder gar nicht leben, so will ich`s. Aber wehe- wie habe ich noch Lust? Habe ich noch ein Ziel, einen Hafen, nach dem mein Segel läuft? Was blieb mir noch zurück? Wo ist mein Heim? Ich fand es nicht. Oh ewiges Überall, oh ewiges Nirgendwo, oh ewiges Umsonst.

 

Z. : traurig

Deine Gefahr ist keine kleine, du freier Geist und Wanderer. Hüte dich, dass dich nicht am Ende noch ein enger Glaube einfängt , ein harter, strenger Wahn. Dich nämlich verführt und versucht nunmehr Jegliches, das eng und fest ist. Du armer Schweifender, geh hinauf zu meiner Höhle. Ich will von dir davonlaufen, dass es wieder hell um mich werde. Des Abends aber wird bei mir - getanzt!

 

Mittags

Z. liegt unter einem Baum und betrachtet einen Weinstock.

 

Tänzerin

 

Z.:

Still! Still! Ward die Welt nicht eben vollkommen? Was geschieht mir doch? Wie ein zierlicher Wind auf dem Meere tanzt, so tanzt der Schlaf auf mir. Federleicht ist er und zwingt mich, dass meine Seele sich ausstreckt. Sie liegt stille, meine wunderliche Seele. Still! Die Welt ist vollkommen. Das Wenigste gerade, das Leiseste, Leichteste, einer Eidechse Rascheln, ein Hauch, ein Husch, ein Augen-Blick - Wenig macht die Art des besten Glücks. Was geschah mir: Horch! Flog die Zeit wohl davon? Falle ich nicht? Fiel ich nicht - horch! in den Brunnen der Ewigkeit? Es sticht mich ins Herz. Oh zerbrich , Herz, nach solchem Glücke. Auf! Du Schläfer! Wohlauf ihr alten Beine. Zeit ist`s. Er schläft von Neuem ein. Lass mich doch! Still! Ward nicht die Welt eben vollkommen? Oh des goldnen runden Balls. Ein Sonnenstrahl fällt auf sein Gesicht. Oh Himmel über mir, du schaust mir zu? Er setzt sich auf. Wann trinkst du diese wunderliche Seele? Wann, Brunnen der Ewigkeit, wann trinkst du meine Seele in dich zurück?

 

Er erhebt sich wie aus einer fremden Trunkenheit und die Sonne steht gerade über seinem Haupt.

 

 

Z. ist zwanzig Meter von seiner Höhle entfernt und hört erneut den Notschrei. Dieser vielfältige seltsame Schrei kommt aus seiner Höhle. Da sitzen die zwei Könige, der Zauberer, der Papst, der freiwillige Bettler, der Schatten, der Gewissenhafte des Geistes, der traurige Wahrsager und der Esel, der hässlichste Mensch (hat sich eine Krone aufgesetzt . Inmitten von ihnen der Adler, gesträubt und unruhig, die kluge Schlange um seinen Hals.

 

Z.:

Ich hörte also Euren Notschrei. Und nun weiß ich auch, wo der zu suchen ist, den ich umsonst heute suchte: der höhere Mensch. In meiner eigenen Höhle sitzt er. Doch dünkt mir, es muss erst Einer kommen, der euch wieder lachen macht, ein Hanswurst, ein Tänzer, ein alter Narr. Vergebt mir, ihr Verzweifelnden, ihr erratet nicht, was mein Herz mutwillig macht. Ihr selber tut es, euer Anblick, vergebt es mir. Jeder nämlich wird mutig, der einem Verzweifelnden zuschaut. Willkommen , meine Gastfreunde.

Z. lacht vor Liebe und Bosheit.

 

König:

Der Pinie vergleiche ich, wer gleich dir, oh Z., aufwächst: lang, schweigend, hart, allein, besten biegsamsten Holzes, herrlich... Eine große Sehnsucht hat sich aufgemacht. Überall sieht man Auferstandene. Viele müssen zu Dir hinauf, alle die Menschen der großen Sehnsucht, des großen Ekels, des großen Überdrusses. Sie lernen von Dir, oh Z. , die große Hoffnung.

 

Der König will Z.`s Hand küssen, der weicht erschreckt zurück, wie in weite Ferne entfliehend, blickt dann wieder mit hellen prüfenden Augen.

 

Z:

Meine Gäste, ihr möget höhere Menschen sein, aber für mich seid ihr nicht hoch und stark genug. Eure Schultern drückt manche Last. Ihr seid nur Brücken. Mögen Höhere auf euch hinüberschreiten. Lachende Löwen müssen kommen. Hörtet ihr noch nichts von meinen Kindern und dass sie zu mir unterwegs sind?

 

Er hält inne, Sehnsucht überfällt ihn, alle schweigen.

 

(Dies aber war der Anfang von jener langen Mahlzeit, welche das Abendmahl genannt wird, und es wurde von nichts Anderem geredet, als vom Höheren Menschen.)

 

Der Mensch ist ein Übergang und ein Untergang. Die kleinen Leute, die fragen: "Wie erhält sich der Mensch am besten, am längsten, am angenehmsten?", oh meine Brüder, diese kleinen Leute, die sind des Übermenschen größte Gefahr.

Überwindet mir, ihr höheren Menschen, die kleinen Tugenden, die kleinen Klugheiten, die Sandkorn-Rücksichten, den Ameisen-Kribbelkram, das erbärmliche Behagen.

Wer mit Adlers-Krallen den Abgrund fasst: Der hat Mut.

Der Mensch muss besser und böser werden.

Auf Weniges, auf Langes, auf Fernes geht mein Sinn und meine Sehnsucht: was ginge mich euer kleines, vieles, kurzes Elend an!

Ihr leidet mir noch nicht genug. Denn ihr leidet an euch, ihr littet noch nicht am Menschen.

Wollt nichts über euer Vermögen: es gibt eine schlimme Falschheit bei solchen, die über ihr Vermögen wollen. Nichts nämlich gilt mir heute kostbarer und seltner als Redlichkeit.

Habt heute ein gutes Misstrauen, ihr höheren Menschen, ihr Beherzten, ihr Offenherzigen. Und haltet eure Gründe geheim.

Und hütet euch! Wer nicht lügen kann, weiß nicht, was Wahrheit ist.

Wollt ihr hoch hinaus, so braucht die eignen Beine.

Ihr Schaffenden, man ist nur für das eignen Kind schwanger. Wer ist denn euer Nächster? Verlernt mir doch dies "Für". Wo eure ganze Liebe ist, bei eurem Kinde, da ist auch eure ganze Tugend. Euer Werk, euer Wille ist euer Nächster. Lasst euch keine falschen Werte einreden.

Wenn euch Großes missriet, seid ihr selber darum missraten?

Seid ihr nicht alle missgeraten? Lernt über euch selber lachen, wie man lachen muss.

Welches war hier auf Erden bisher die größte Sünde? War es nicht das Wort dessen, der sprach: Wehe denen, die hier lachen! Wer seinem Ziele nahekommt, der tanzt. Wer leichte Füße hat, tanzt über Schlamm wie auf gefegtem Eise.

Ich selber sprach heilig mein Gelächter. Z., der Tänzer, Z. der Leichte, der mit den Flügeln winkt, ein Selig-Leichtfertiger. Einer der Sprünge und Seitensprünge liebt. Ich selber setzte mir diese Krone auf.

 

Dem Winde tut mir gleich, nach seiner eigenen Pfeife will er tanzen. Gelobt sei dieser Geist aller freien Geister, der lachende Sturm. Ihr höhern Menschen, euer Schlimmstes ist: Ihr lerntet alle nicht tanzen wie man tanzen muss - über euch hinweg tanzen. Wie Vieles ist noch möglich. So lernt doch über euch hinweg lachen. Diese Krone des Lachenden werfe ich euch zu. Das Lachen sprach ich heilig; ihr höheren Menschen, lernt mir lachen.

Z. flieht kurz ins Freie.

Oh reine Gerüche um mich, oh selige Stille um mich. Ich liebe euch , meine Tiere.

Adler und Schlange drängen sich an ihn.

 

Zauberer (Dichter):

Er ist hinaus.

Er sieht listig umher und greift dann zu seiner Harfe.

 

Der Wahrheit Freier? Du? so höhnten sie -

Nein, nur ein Dichter!

Ein Tier, ein listiges, raubendes, schleichendes,

Das lügen muss,

Das wissentlich, willentlich lügen muss:

Nach Beute lüstern,

Bunt verlarvt,

Sich selber Larve,

Sich selbst zur Beute -

Das, der Wahrheit Freier?

Nein! Nur Narr! Nur Dichter!

 

Adlerhaft, pantherhaft

Sind des Dichters Sehnsüchte.

Sind deine Sehnsüchte unter tausend Larven,

Du Narr! Du Dichter!

 

Der Zauberer sang und alle gehen in das Netz seiner listigen und schwermütigen Wollust. Nicht aber der Gewissenhafte des Geistes. Der nimmt ihm die Harfe weg.

 

Gewissenhafter des Geistes:

Du machst diese Höhle schwül und giftig. Du gleichst Solchen, welche mit ihrem Lobe der Keuschheit heimlich zu Wollüsten laden.

Ihr sitzt alle mit lüsternen Augen da. Euch gelüstet nach dem Leben wilder Tiere. Das aber bereitet mir am meisten Furcht. Furcht ist des Menschen Erb- und Grundgefühl. Aus der Furcht wuchs auch seine Tugend: die heißt Wissenschaft.

 

Z. kommt herein und lacht.

 

Z.:

Mich dünkt, du bist ein Narr. Deine Wahrheit stelle ich rucks und flugs auf den Kopf. Furcht nämlich ist unsre Ausnahme, Mut aber und Lust am Ungewagten dünkt mich des Menschen ganze Vorgeschichte. Dieser Menschen-Mut mit Adlerflügeln und Schlangenklugheit, der, dünkt mich, heißt heute...

 

Alle:

Zarathustra! Gelächter

 

Z. will hinaus.

 

Schatten:

Bleibe bei uns, dass uns nicht wieder die alte dumpfe Trübsal anfällt. Du allein machst die Luft um dich herum stark und klar. Nur bei den Töchtern der Wüste gab es gleich gute Luft, helle morgenländische. Ihr glaubt es nicht, wie artig sie dasaßen, wie kleine Geheimnisse. Solchen Mädchen zu Liebe erdachte ich einen Psalm.

nimmt die Harfe, zieht die Luft ein und singt mit Gebrüll.

 

Da sitze ich nun in dieser kleinsten Oasis,

Einer Dattel gleich,

Braun, durchsüßt, goldschwürig, lüstern

Nach einem runden Mädchenmunde.

Oh weint mir nicht,

Weiche Herzen!

Weint mir nicht, ihr

Dattel-Herzen, Milch-Busen.

Ihr Süßholz-Herzbeutelchen.

Ha! Herauf Würde! Noch einmal brüllen

Als moralischer Löwenübermute vor den Töchtern der Wüste brüllen.

Denn Tugend-Geheul

Ist Europäer Heißhunger.

Und da stehe ich schon,

Als Europäer,

Ich kann nicht anders, Gott helfe mir!

Amen!

 

Die Wüste wächst: weh dem, der Wüsten birgt.

 

Lärmen und Lachen. Z. schlüpft hinaus und spricht zu seinen Tieren.

 

Z.:

Der Geist der Schwere weicht. Schon lernen sie über sich selber lachen. Sie feiern. Sie werden dankbar. Es sind Genesende.

 

Auf einmal Totenstille und Geruch von Weihrauch.

 

Was treiben sie?

Er schaut nach.

Sie sind alle wieder fromm geworden, sie beten, sie sind toll.

 

Litanei, unterbrochen durch Eselsgeschrei (S.327)

 

Z.: schreit IA wie der Esel

Aber was treibt ihr da, ihr Menschenkinder? reißt die Betenden hoch Und du, alter Papst, wie stimmt das mit dir selber zusammen, dass du einen Esel hier als Gott anbetest?

 

Papst:

Oh Z., vergib mir, aber in Dingen Gottes bin ich aufgeklärter noch als du. Mein altes Herz hüpft darob, dass es noch etwas anzubeten gibt.

 

Z.: zum Schatten

Und du Schatten, du nennst dich einen freien Geist und treibst hier solchen Götzendienst?

 

Schatten:

Was kann ich dafür. Der alte Gott lebt wieder, oh Z., du magst reden, was du willst. Der hässlichste Mensch ist an allem schuld, der hat ihn wieder aufgeweckt.

 

Z.:

Und du, schlimmer Zauberer, wer soll fürderhin an dich glauben, wenn du an solche Götter-Eseleien glaubst?

 

Zauberer (Dichter):

Es ist mir auch schwer genug geworden.

 

Z.:

Und du Gewissenhafter des Geistes, ist dein Geist nicht zu reinlich für den Dunst dieser Betbrüder?

 

Gewissenhafter:

In dieser Gestalt dünkt mir Gott noch am glaubwürdigsten.

 

Z.:

Und du, du Unaussprechlicher (der Hässlichste), dein Auge glüht. Was tatest du? Ist es wahr, dass du ihn wieder auferwecktest? Und wozu?

 

Hässlicher:

Von dir selber lernte ich`s, oh Z.: Nicht durch Zorn, sondern durch Lachen tötet man.

 

Z. springt zur Tür und schreit in Richtung seiner Gäste.

 

Z.:

Oh ihr Possenreißer, was verstellt und versteckt ihr euch vor mir! Wie doch einem jedem von euch das Herz wieder zappelte vor Lust und Bosheit, darob, dass ihr endlich einmal wieder wurdet wie die Kindlein, nämlich fromm. Aber nun lasst mir diese Kinderstube. Kühlt hier draußen euren Kinderübermut. Männer sind wir worden, so wollen wir das Erdenreich. Ihr Wunderlichen, ihr höheren Menschen, wie gut gefallt ihr mir nun, seit ihr wieder fröhlich wurdet. Vergesst dies Eselsfest nicht. Solcherlei erfinden nur Genesende.

 

Einer nach dem Anderen tritt hinaus ins Freie, in die kühle nachdenkliche Nacht. Z. führt den hässlichsten Menschen an der Hand. Sie stehen still beieinander, lauter alte Leute, aber mit einem getrösteten tapferen Herzen.

 

Der hässlichste Mensch: gurgelt und schnaubt und fragt dann klar und alle sind bewegt

Meine Freunde! Um dieses Tags willen - ich bin`s zum erstenmal zufrieden, dass ich das ganze Leben lebte. Ein Tag, ein Fest mit Z. lehrte mich die Erde lieben. War das das Leben, will ich zum Tode sprechen, wohlan, noch einmal.

 

Sie werden sich ihrer Verwandlung alle bewusst, danken Z. , weinen, lachen, tanzen. Ungewiss blieb, ob auch der Esel getanzt hat. Aber was liegt daran?

Z. stand wie ein Trunkener. Sein Geist war in weiten Fernen, auf hohem Joche, zwischen zwei Meeren, zwischen Vergangenem und Zukünftigem als schwere Wolke wandelnd. Er wehrt mit den Händen dem Gedränge, auf einmal lauscht er, sagt dann:

 

Z.:

Kommt!

Stille - aus der Tiefe kommt der Klang einer Glocke.

Kommt, kommt! Es geht gen Mitternacht.

Er bleibt stehen. Alles horcht.

Da hört sich manches, das am Tage nicht laut werden darf. Still! Still! Nun schleicht es sich in überwache Seelen. Hörst du`s nicht, wie sie heimlich, schrecklich, herzlich zu dir redet, die alte tiefe tiefe Mitternacht? Oh Mensch, gib Acht!

Wehe mir! Sank ich nicht in tiefe Brunnen? Die Stunde naht. Oh Mensch, gib Acht! Diese Rede ist für feine Ohren, für deine Ohren - was spricht die tiefe Mitternacht?

Es trägt mich dahin. Meine Seele tanzt. Ihr flogt nicht hoch genug. Ihr höheren Menschen, erlöst doch die Gräber, weckt die Leichname auf. Es brummt noch die Glocke, es schnarrt noch das Herz, es gräbt noch der Wurm. Ach, ach, die Welt ist tief.

Süße Leier, wie fern her kommt mir dein Ton, von den Teichen der Liebe. Du alte Glocke, du süße Leier, nun redest du: Die Welt ward reif; nun will sie sterben, vor Glück sterben. Es quillt heimlich ein Geruch herauf, ein Duft und Geruch der Ewigkeit, ein rosenseliger Geruch von trunkenem Mitternachts-Sterbeglücke, welches singt: Die Welt ist tief und tiefer als der Tag gedacht.

Ward meine Welt nicht eben vollkommen? Die Reinsten sollen der Erde Herr sein, die Unerkanntesten, Stärksten, die Mitternachts-Seelen, die heller und tiefer sind als jeder Tag. Oh Tag, du tappst nach mir? Oh Welt, du willst mich? Ihr seid zu plump. Ach, wie sie seufzt, wie sie lacht, wie sie röchelt und keucht, die Mitternacht. Sie wurde überwach, sie käut zurück. Ihr Weh käut sie zurück im Traume und mehr noch ihre Lust. Lust ist tiefer noch als Herzeleid.

Alles Reife will sterben. Alles Unreife will leben, sehnsüchtig nach Höherem, nach Erben. Lust aber will nicht Kinder. Lust will sich selber, will Ewigkeit, will Wiederkunft, will Alles-sich-ewig-gleich.

Ihr höheren Menschen, was dünkt euch, bin ich ein Träumender, ein Trunkener, ein Duft der Ewigkeit? Eben ward ich vollkommen. Nacht ist auch eine Sonne. Sagtet ihr jemals Ja zu einer Lust? Oh meine Freunde, so sagtet ihr Ja auch zu allem Wehe. Alle Dinge sind verkettet, verfädelt, verliebt. Wollet ihr jemals alles von neuem, alles ewig, oh so liebtet ihr die Welt. Ihr Ewigen, liebt sie ewig und allezeit: und auch zum Weh sprecht ihr: vergeh, aber komm zurück! Denn alle Lust will - Ewigkeit!

 

Singt, ihr höheren Menschen, Zarathustras Rundgesang:

Oh Mensch, gib Acht!

Was spricht die tiefe Mitternacht?

Ich schlief, ich schlief -

Aus tiefem Traum bin ich erwacht.

Die Welt ist tief,

Und tiefer als der Tag gedacht.

Tief ist ihr Weh.

Lust, tiefer noch als Herzeleid:

Weh spricht: Vergeh!

Doch alle Lust will Ewigkeit -

Will tiefe, tiefe Ewigkeit.

 

Morgen. Z. gürtet sich die Lenden, ist glühend und stark wie eine Morgensonne.

 

Z.:

Du großes Gestirn, du tiefes Glücks-Auge, was wäre all dein Glück, wenn du nicht die hättest, welchen du leuchtest! Wohlan, sie schlafen noch, diese höheren Menschen, während ich wach bin. Das sind nicht meine rechten Gefährten. Sie verstehen nicht, was die Zeichen meines Morgens sind.

 

Adlerruf über ihm.

 

Mein Adler ist wach und ehrt gleich mir die Sonne. Mit Adlersklauen greift er nach dem neuen Lichte. Aber noch fehlen mir meine rechten Menschen.

 

Plötzlich wird Z. von unzähligen Vögeln umschwärmt und umflattert. Er schließt die Augen. Lässt sich auf einem Stein nieder, greift um sich und fasst in ein warmes Haar-Gezottel. Ein langes Löwen-Brüllen ertönt.

 

Das Zeichen kommt.

 

Ein lachender Löwe liegt ihm liebend zu Füßen.

 

Meine Kinder sind nahe, meine Kinder...

 

Stumm weint er. Die Vögel umzärteln ihn, der Löwe leckt ihm die Tränen von den Händen. Die höheren Menschen treten aus der Höhle, der Löwe springt wild brüllend auf sie los. Sie schreien und fliehen zurück in die Höhle.

 

langsam Was hörte ich doch? Was geschah mir eben? Hier ist ja der Stein. Und hier hörte ich den Schrei, den großen Notschrei. Oh ihr höheren Menschen, zu eurer Not wollte mich der Wahrsager verführen zu meiner letzten Sünde. lacht Was blieb mir doch aufgespart als meine letzte Sünde? schreit Mitleiden! Das Mitleiden mit dem höheren Menschen! Sein Antlitz verwandelt sich in Erz. Wohlan! Das hatte seine Zeit. Mein Leid und mein Mitleiden - was liegt daran? Trachte ich denn nach Glücke? Ich trachte nach meinem Werke. Wohlan, der Löwe kam, meine Kinder sind nahe, Z. ward reif, meine Stunde kam:

Dies ist mein Morgen, mein Tag hebt an: Herauf nun herauf, du großer Mittag!

 

Stimme:

Also sprach Zarathustra und verließ seine Höhle, glühend und stark, wie eine Morgensonne, die aus dunklen Bergen kommt.