Januar 2013

 

Kunst und Kitsch im Verständnis von Hermann Broch

(herausgearbeitet aus „Dichten und Erkennen“, Zürich 1955)

 

Ein Aufsatz von Lydia Spiekermann (2013)

 

Dichten, Erkennen und Handeln - das sind die drei Begriffe, die Hannah Arendt dem Werk Hermann Brochs entnimmt, um sie zu den Eckpunkten seines Lebens zu erklären. In einer Zeit von Anmaßung und Maßlosigkeit, in welcher die ökonomischen und ästhetischen Werte allem vorangestellt wurden, erklärt Broch den ethischen Wert der Rechtschaffenheit zum absoluten Maßstab und bemüht sich im Privaten um den Zusammenschluss von künstlerischem Ausdruck, wissenschaftlicher Erkenntnis und politischem Handeln.

Broch geht davon aus, dass der Mensch, weil er in einer politischen Sphäre lebt, sich letztlich der Humanität verpflichtet weiß. Geleitet wird er dabei von der Ahnung um eine „prästabilierte Harmonie der Welt“, welche dazu angetan ist, Zeit und Tod zu überwinden. Ein Handeln, das von Empathie geleitet wird, befreit den Menschen vom Subjektivismus und schenkt Blitzmomente der Erkenntnis von Ewigkeit.

Broch ist schreibender Künstler. Als solcher befragt er die Kunst ganz allgemein auf ihre Aufgabe und auf ihre Bedeutung hin. Er gelangt zu der Unterscheidung von Kunst und Kitsch.

Mit Hilfe von Ur-Symbolen für das Essentielle soll die Kunst das Irrationale, die anarchische Zügellosigkeit bändigen und dem Menschen sein irdisch-göttliches Sein vor Augen führen. Die Kunst wird von der Weltenangst getragen. Sie ist der Kampf gegen die Dunkelheit ewiger Nacht. Kunst wird für Broch zur ethischen Aufgabe, insofern als sie Irrationales und Rationales miteinander verbindet, Offenheit bewahrt und dem Menschen, bei aller Ernsthaftigkeit, die der Kunst geboten ist, eine ironische Sicht auf sich selbst im Spiegel des Absoluten vermittelt.

Unter Kitsch versteht Broch hingegen die Anti-Kunst, welche er mit Ästhetisierung, Effekt, Klischee, Dekoration, Amusement, Leichtsinn, Begierde, Mangel an Entschlusskraft, Wertvakuum, Begrenztheit und mit der Flucht ins Unpolitische verbindet. Der Kitsch befriedigt die Triebe. Einfache Sinneseindrücke werden bedient.

 

Hugo von Hofmannsthal ist für Broch das Beispiel eines Dichters, der mit seinem Werk die ästhetisierende Bürgerlichkeit anklagt. Als träumender, sehnender Künstler zunächst der Gemeinschaft entrückt, tritt er den Rückweg in die Gemeinschaft an, indem er sich künstlerisch der ethischen Aufgabe widmet. Dichtung wurde für ihn Ritual der Sittlichkeit, Sichtbarmachung einer höheren Realität, die Haltung des Über-sich-selbst-Hinauswachsens. Letztlich geht es um die Umbildung der Realität zur Erkenntnis. Erkenntnis ist für Hermann Broch dann gegeben, wenn das Ich im Objekt aufgeht, sein Einssein mit der Welt von Ewigkeit her erfasst. Solche Erkenntnis nennt Broch Mystik. Die ekstatische Rückfindung zur Präexistenz gilt Broch als höchsterreichbarer Lebenswert. Form und Sprache werden in diesem mystischen Prozess rhythmisch-lyrisch beeinflusst und bleiben doch von geheimnisvoller Einfachheit. Broch sieht sie von einem Traumlächeln begleitet.

 

Dem ekstatischen Erleben kann jedoch der Ekel vor der Welt und dem eigenen versagenden Sein folgen. An die Stelle vollkommenster Liebe tritt dann Aggression, Panik, Zynismus, Depression und Teufelsbesessenheit. Ich und Non-Ich bilden für Broch das Ur-Gegensatzpaar menschlicher Existenz. Der Dichter ist um Symbole bemüht, die der Ur-Angst vor den bedrohenden Ur-Kräften entgegenwirken. Mit Hilfe von Geist, Kunst und humaner Läuterung wehrt der Mensch dem Abstieg in die Schamlosigkeit, der Irreführung in wollüstige Tiefen und dem Zauber von Oberflächlichkeiten. In der Selbsterziehung zur Liebe und in der Erfüllung der Pflichten, die das soziale Leben an uns stellt, sieht Broch den Weg zur Überwindung der Antinomien hin zur „Rationalerleuchtung“.

 

Das Kunstwerk muss für Broch zum Spiegel des Zeitgeistes werden, indem es die Epoche von außen erfasst und mittels Symbolen versinnbildlicht. Immer muss dabei die Unendlichkeit des Unerfasslichen mitschwingen. Es geht darum, eine Totalität des Lebens ins Werk zu setzen, welche die tiefste irrationale Schicht und die höchste rationale umfasst. Der Mensch muss in das Metalogische des Unbewussten hinabsteigen, um die Ur-Triebkräfte des Seins aufzuspüren, die ihn als Verbindung von Tier und Gott kennzeichnen.

Die Welt ist nicht mittels des Kausalprinzips ganzheitlich zu erfassen. Es gibt eine höhere Realität, die der Dichter mittels metaphysischer Erkenntnis sucht; sie verspricht letzterreichbaren Sinn. Diese höhere Realität aber offenbart sich für Broch im innersten Sein des Menschen. Die letzte Sphäre des Ichs ist das Platonische, die Simultaneität von sum und cogito, von Logos und Leben, zusammengehalten durch die Liebe. In dieser Einheit sieht Broch das Religiöse aufschimmern.

 

Mythos und Logos machen in ihrer Einheit die menschliche Wesenheit aus. Der Mythos ist das Urbild einer umfassenden Ordnung des zeitlosen Seins. Die Sprache, welche aus dem Aufschrei geboren ist, sucht die Welt zu begreifen. Mythos und Logos bilden zusammen ein lichtdurchschattetes „Traum-Nirgendwo“, in dessen Zeitlosigkeit für Broch die Seele ruht. Traumwissen und Prophetie nähren sich aus dieser immerwährenden Gegenwart und senden blitzartige Eingebungen, prophetische Botschaften an den, der Ohren hat zu hören und Worte zu finden vermag, die dem Offenbarten symphonischen Ausdruck verleihen. Beides zusammen, musikalische Sinnarchitektur und irrationale Spannung zwischen den Worten, einen das Disparate: Ewigkeit und Tod.

 

Broch betont, dass die Kunst ein offenes System bleiben muss. Vorbedingung des Kitsches sei die Verendlichung der Kunst in den Spielregeln der Ästhetik. Kitsch sei das Böse im Wertsystem der Kunst, geheuchelte Überschwenglichkeit, verirrt im Gestrüpp der Gefühle und Konventionen. Die Kitschwelle überrolle den Menschen sowohl als Ästhetentum, als auch in Form von Amüsierindustrie. Das echte Kunstwerk aber mache den Menschen bis zur Blindheit sehend. Kunst dürfe niemals schweigen, sie müsse immer dem Akt der Humanität dienen und Werte schaffen, welche in simultaner Gemeinschaft einander stützen.

 

Ein Kunstwerk, so Broch, vereint den Betrachter mit dem geschaffenen Wertziel in mystischem Einssein und versetzt somit in einen Zustand der Angstbefreiung. Ein Kunstwerk vereint Vergangenheit und Zukunft zur Totalität des Humanen. Es ist ein hoffnungsfrohes Aufleuchten zwischen zwei Dunkelheiten.

Jedes Wertsystem trägt jedoch auch sein Gegenteil in sich, das allerdings systemimmanent bleibt und sich nicht nach der Majestät Gottes streckt. Der Mensch, der sein Wertziel solcherart invertiert, hat den guten Willen verloren. Er bleibt in beengten Dimensionen. Wenn beispielsweise Liebesdichtung sich in Pornografie erschöpft, ist das unendliche Ziel ins Endliche invertiert und damit, so Broch, Kitsch geschaffen. Kitsch hebt die Zeit nicht auf, sondern vertreibt sie. Zur Affektbefriedigung ist schnell jedes Mittel recht, so dass der Kitsch sich ins radikal Böse verwandeln kann. Wahre Kunst aber dient der platonischen Idee, sucht die Einheit der Welt über den Abgründen. Eine solche Einheit präsentiert sich in Schönheit. Schönheit kann für Broch nicht Ziel der Kunst sein; sie stellt sich von selbst ein, wenn der Künstler im Lichte des Absoluten das Einssein allen Lebens erkennt und sein Leben in den Dienst der Humanität stellt.